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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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klagen. Das meine schwindet nicht. Meine Erinnerungen bleiben bestehen und so lebendig wie zum Zeitpunkt des Erlebens; sind sie erst einmal herbeigerufen, tragen sie mich wie gebannt fort.
    Ich wandte mich wohl vom Wirt ab und mischte mich unter die drängenden Bauern und schwatzhaften Händler, ohne all das zu gewahren. Vielmehr spürte ich unter meinen Füßen die mit Knochen geschotterte Wegzeile unserer Nekropolis und sah durch die Nebelfetzen, die vom Fluß heranwehten, die schlanke Gestalt von Vodalus, wie er die Pistole seiner Herrin übergab und das Schwert zog. Nun (es ist traurig, ein Mann geworden zu sein) ging mir diese törichte, verschwenderische Geste sehr nahe. Er, der sich auf hundert heimlichen Plakaten dazu bekannt hatte, für das Althergebrachte zu kämpfen, für die frühere, nun abgelöste Hochkultur unserer Urth, entledigte sich der wirksamen Waffe jener Zivilisation.
    Wenn meine Erinnerungen an die Vergangenheit bestehen bleiben, so vielleicht nur deshalb, weil die Vergangenheit nur in der Erinnerung existiert. Vodalus, der sie wie ich Wiederaufleben lassen wollte, blieb dennoch ein Geschöpf der Gegenwart. Daß wir nur sein können, was wir sind, bleibt unsere unverzeihliche Sünde.
    Wäre ich einer von euch, deren Gedächtnis schwindet, hätte ich ihn an diesem Morgen gewiß verstoßen, als ich mir mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge bahnte, und wäre so diesem Tod im Leben entkommen, der mich selbst jetzt, da ich diese Worte schreibe, beschleicht. Oder aber ich wäre überhaupt nicht entkommen. Ja, höchstwahrscheinlich nicht. In jedem Fall waren die alten Gefühle, die ich mir ins Gedächtnis zurückrief, zu stark. Ich war gefangen in der Bewunderung dafür, was ich einst bewundert hatte, wie eine Fliege in Bernstein die Gefangene einer längst vergangenen Kiefer bleibt.

 
II
 
Der Mann im Dunkeln
     
    Das Haus des Räubers unterschied sich nicht von den übrigen Häusern des Dorfes. Es war aus Bruchstein, einstöckig, mit einem recht flachen, gediegenen Schieferdach aus, dem gleichen Gestein. Die Tür und das einzige Fenster, das ich von der Straße aus sehen konnte, waren mit rohem Mauerwerk verschlossen. An die hundert Jahrmarktsbesucher standen nun redend und gestikulierend vor dem Haus; drinnen hingegen war es mäuschenstill, und aus dem Schornstein stieg kein Rauch auf.
    »Ist das in dieser Gegend üblich?« fragte ich Jonas.
    »So ist es Tradition. Du kennst den Spruch. ›Eine Legende, eine Lüge und eine Laune machen eine Tradition‹?«
    »Mir scheint, es wäre gar nicht schwer rauszukommen. Er könnte nachts ein Fenster oder die Mauer selbst durchbrechen oder einen Gang graben. Ja, wenn er mit so etwas gerechnet hat – und es üblich ist und er tatsächlich für Vodalus spioniert hat – gibt es keinen Grund, warum er das nicht sollte – er könnte sich sowohl mit Werkzeug als auch einem ausreichenden Essens- und Trinkvorrat ausstatten.«
    Jonas schüttelte den Kopf. »Bevor die Öffnungen verschlossen werden, wird das Haus durchsucht und alles auffindbare Essen, Werkzeug und Licht entfernt. Auch alles, was sonst noch von Wert sein könnte, wird mitgenommen.«
    Eine volltönende Stimme sagte: »Was wir, die wir uns gescheit dünken, in der Tat nicht versäumen.« Es war der Alkalde, der in der Menge unbemerkt an uns herangetreten war. Wir wünschten ihm einen guten Tag, und er erwiderte den Gruß. Er war ein kräftiger, vierschrötiger Mann mit einem offenen Gesichtsausdruck, den ein listiger Zug um die Augen trübte. »Dachte, ich hätte Euch erkannt, Meister Severian, helle Kleider hin, helle Kleider her. Sind sie neu?
    Sehen so aus. Seid Ihr nicht zufrieden, sagt’s mir! Wir sind bemüht, daß nur ehrliche Händler zu unseren Märkten kommen. Keine krummen Geschäfte. Wenn er – egal, wer’s ist – Euren Wünschen nicht entspricht, tauchen wir ihn in den Fluß. Ein, zwei Getauchte im Jahr, und die übrigen fühlen sich nicht allzu unbeschwert.«
    Schweigend trat er einen Schritt zurück, um mich genauer zu mustern, wobei er offenbar höchst beeindruckt nickte. »Kleiden Euch gut. Ich muß sagen, Ihr seid schön von Gestalt und habt auch ein hübsches Gesicht, das vielleicht ein bißchen blaß ist, was unser heißes nördliches Klima hier aber bald in Ordnung bringen wird. Jedenfalls kleiden sie Euch gut und lassen, sich gut tragen, wie’s scheint. Wenn man Euch fragt, woher Ihr sie habt, so sagt doch vom Markt zu Saltus. Es wird nicht schaden.«
    Ich

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