Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
mehr für den Obduzenten, da wir schon vorher wissen, wo sie im Körper stecken.«
Hauptkommissar Wittig zeigt sich beeindruckt, so wie alle seine Kollegen, die diese neue Technik das erste Mal im Obduktionssaal in Aktion erleben können. Er ist fasziniert von der Qualität der Darstellung und von der Möglichkeit, sich in allen Ebenen des Körpers zu bewegen, indem man einfach mit der Computermaus herumscrollt. So kann man Gewebeschichten nach Belieben virtuell entfernen und dann durch den – virtuell freigelegten – Knochen hindurchfahren, um in den Tiefen des Körpers nach pathologischen Befunden, Verletzungen, Fremdkörpern oder anderen Auffälligkeiten zu suchen.
Wie nützlich dieses Gerät für die kriminalpolizeiliche Arbeit ist, wird gleich bei diesem ersten Einsatz in einem großen Mordfall deutlich. Auf dem Bildschirm ist klar zu sehen, dass Feldgärtners Ober- und Unterkiefer durch ein scharfkantiges Werkzeug zertrümmert worden sind. Eine fast zwölf Zentimeter lange Frakturlinie verläuft quer durch das Mittelgesicht. Auf Höhe der Hutkrempenlinie sehen wir zwei annähernd parallel zueinander verlaufende, scharfkantige Frakturlinien. Angesichts des Verletzungsmusters tippe ich spontan auf eine Axt oder ein Beil als Tatwaffe.
»Der Täter hat sein Opfer außerdem mit einem sehr langen einschneidigen Messer oder möglicherweise mit einem Stichwerkzeug ähnlich einem Samurai-Schwert attackiert«, fahre ich fort und deute auf die entsprechenden Stich- und Schnittverletzungen. »Wenn Sie uns mutmaßliche Tatwaffen bringen, scannen wir sie ebenfalls mit unserem CT und gleichen sie mit den Kopfverletzungen ab. Dann können wir exakt feststellen, ob sie zu den Verletzungen passen.«
Hauptkommissar Wittig betrachtet aufmerksam die skulpturenartige dreidimensionale Grafik des Schädels, der langsam um seine eigene Achse rotiert. »Irgendwelche Hinweise auf Schussverletzungen?«, fragt er.
Meine Kollegin Dr. Probst klickt sich durch das umfangreiche Bildmaterial, das Leon Feldgärtners Kopf von allen Seiten und bis in seine tiefsten Schichten mit beeindruckender Präzision dokumentiert.
»Keine metallischen Objekte«, erklärt sie. »Der Mann hat nicht einmal Zahnfüllungen aus Metall. Und schon gar keine Kugel im Gehirn.«
Offensichtlich wurde Feldgärtner durch massive Gewalteinwirkung gegen sein Gesicht und seinen Schädel getötet.
»Welche der zahlreichen Verletzungen todesursächlich war, können wir aber erst nach der eigentlichen Obduktion sagen«, füge ich hinzu. »Ganz ohne das Aufschneiden von Toten wird es auch künftig in der Rechtsmedizin nicht zugehen.«
Die konventionelle Obduktion kann schon deshalb nicht durch die neue pmMSCT-Technologie abgelöst werden, weil der Gesetzgeber in der Strafprozessordnung die Leichenöffnung zwingend vorschreibt. Unabhängig davon lassen sich Einblutungen im Gewebe und Blut in Organen, die uns die entscheidenden Hinweise auf die Todesursache liefern, durch Computertomographie nicht so gut darstellen wie bei einer herkömmlichen Obduktion. Die Stärken der pmMSCT liegen vor allem in der Darstellung knöcherner Strukturen und Brüche und bei der Lokalisation von Fremdkörpern, insbesondere wenn diese aus Metall sind.
In Fällen tödlicher Vergiftungen – sei es bei einem Drogentodesfall, beim klassischen Giftmord oder bei versehentlicher Überdosierung eines Narkosemedikaments – hilft die pmMSCT dagegen überhaupt nicht weiter. In der Rechtsmedizin wird diese großartige Innovation der Bildgebung deshalb immer nur ein zusätzliches Untersuchungswerkzeug sein. Für die Diagnose einer Vergiftung ist eine chemisch-toxikologische Untersuchung unerlässlich. Hierfür benötigt man nun mal Blut, Körperflüssigkeiten und Organproben, und die kann man nur asservieren, wenn man den Verstorbenen aufschneidet.
Nicht zu unterschätzen ist auch eine weitere Stärke der pmMSCT. Selbst gewaltintensive Tötungsdelikte wirken durch die blutfreie und abstrakte Darstellung viel erträglicher als auf Farbfotos. Für Kriminalisten und Rechtsmediziner spielt das keine große Rolle, denn wir sind den Anblick gewöhnt. Aber für einige Verteidiger und Richter macht das sicher einen gewaltigen Unterschied – und ganz bestimmt für die Schöffen bei Mordprozessen, die ja keine Berufsrichter sind. Wenn sie die Obduktionsfotos vorgelegt bekommen, sind sie von dem knallroten Blut auf den Bildern oftmals so fasziniert, dass sie den Ausführungen des Sachverständigen nicht
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