Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
reibt sich mit der Hand über sein Gesicht. Er ist vollkommen übermüdet. Seit drei Tagen ermitteln sie praktisch Tag und Nacht im Fall des »Axt-Mörders«, wie ein Boulevardblatt den Täter mittlerweile getauft hat.
Während Dr. Lilienthal die geborgenen Leichenteile mit unserem Fahrdienst zum Institut bringt, bespricht sich Dominic Wittig mit dem Leiter der polizeilichen Einsatztaucher. Mittlerweile haben die Spezialkräfte den gesamten Fluss im Abschnitt zwischen den beiden Fundorten abgesucht.
»Wo immer der Kopf sein mag«, fasst der Einsatzleiter zusammen, »in diesem Spreeabschnitt ist er definitiv nicht.«
»Möglicherweise ist er in einem dritten Koffer weiter flussabwärts getrieben«, überlegt der Hauptkommissar. »Aber wir können auch nicht ausschließen, dass der oder die Täter ihn an einer ganz anderen Stelle irgendwo in der Stadt entsorgt haben.«
Die Ermittlungen treten auf der Stelle. Vom Täter gibt es nach wie vor keine Spur.
Auch die Sofortobduktion der neu aufgefundenen Körperteile, die Dr. Lilienthal und ein weiterer Kollege unseres Instituts noch am selben Abend durchführen, erbringt keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse. Leon Feldgärtner hat sogar seinen Penis mit Tätowierungen versehen. Und die eintätowierten Muster der beiden Rumpfteile passen exakt aufeinander – der Gedanke an ein makabres Puzzlespiel drängt sich geradezu auf. Kein Wunder, dass die Boulevardmedien den Täter kurze Zeit später auf den Namen »Puzzle-Mörder« taufen werden.
Interessanterweise weist keiner der bisher gefundenen Körperteile Zeichen einer zu Lebzeiten erfolgten Gewalteinwirkung auf. Wie die nicht eingebluteten Wundränder der Abtrennungsstellen meinen Kollegen zeigen, wurden die Extremitäten eindeutig postmortal vom Rumpf abgetrennt. Folglich muss Feldgärtner durch Gewalt gegen seinen Kopf getötet worden sein. Und erst wenn die Kripo den Kopf des Opfers gefunden hat, können wir den Mordermittlern darüber Auskunft geben, wie der österreichische Tattoo-Künstler umgebracht worden ist.
Am Nachmittag des 12. Juli, fünf Tage nach Auffindung des Torsos, bekommen zwei Spaziergängerinnen im Berliner Stadtteil Wedding den Schreck ihres Lebens.
Am Ufer des beschaulichen Schäfersees liegt ein geöffneter blauer Plastiksack. Als die beiden Frauen einen Blick ins Innere werfen, bietet sich ihnen ein Anblick wie aus einem Hardcore-Psychoschocker: Der Plastiksack enthält den abgetrennten Kopf eines vollbärtigen Mannes. Das Gesicht ist grün verfault und teilweise mit Algen bewachsen. In der linken Gesichtshälfte klafft ein Loch – dort fehlen Teile vom linken Ober- und Unterkiefer sowie Teile der Nase.
Natürlich haben auch die beiden Frauen die Sensationsmeldungen über die angebliche Identität und die vermeintlichen Motive des »Puzzle-Mörders« (»Wer ist sein nächstes Opfer?«) verfolgt. Nachdem sie ihre Fassung einigermaßen zurückgewonnen haben, rufen sie die Polizei.
Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wird der Kopf noch am Abend desselben Tages bei uns im rechtsmedizinischen Institut obduziert. Diesmal führe ich die Sektion zusammen mit meiner Kollegin Dr. Lena Probst durch.
Als ich mich um kurz vor 21 Uhr zu Hause von meiner Frau verabschiede, sage ich ihr, sie könne ruhig auf mich warten, wir hätten ja nur einen Kopf zu sezieren. Doch meine Einschätzung, dass diese Obduktion nicht lange dauern werde, erweist sich als Irrtum. Die Obduktion des Kopfes dauert sieben Stunden.
Wir fangen um 21:30 Uhr an. Als wir endlich fertig sind, dämmert draußen schon der Morgen. Der Mörder hat den Kopf seines Opfers mit brutaler Gewalt und furchtbarer Intensität verstümmelt. Aber nicht nur die Massivität und die Vielzahl der Verletzungen erschweren unsere Untersuchung. Wir müssen auch deshalb so langsam und schrittweise vorgehen, weil bei dieser bestialischen Gewalttat offensichtlich mehrere unterschiedliche Tatwerkzeuge verwendet wurden.
Bevor wir mit der eigentlichen Obduktion beginnen, wird der Kopf im Computertomographen durchleuchtet. Auch Hauptkommissar Wittig ist anwesend und wartet gespannt auf erste Ergebnisse. Da wir bei der Obduktion von Torso und Extremitäten keine tödlichen Verletzungen vorgefunden haben, muss Leon Feldgärtner durch Gewalteinwirkung auf seinen Kopf getötet worden sein. Art und Aussehen von Verletzungen, die ein Täter seinem Opfer zugefügt hat, lassen im Allgemeinen Rückschlüsse auf Waffen oder Werkzeuge zu, die dabei zum
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