Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
öffnet ein rückwärtiges Fenster im Toilettenraum und wirft die Habseligkeiten seines Opfers hinaus. Dann nimmt er sich erneut das Blut im Toilettenraum vor. Er füllt den Mülleimer mit Wasser und kippt es auf den Fliesen aus. Im Putzmittelraum zwischen Damen- und Herrenumkleide findet er einen Besen und schrubbt damit den blutverschmierten Boden.
Das muss reichen, sagt er sich schließlich. Wenn er noch länger von der Presse wegbleibt, wird sein Kollege doch noch Verdacht schöpfen.
Den Beutel mit dem blutigen Klopapier und der Tatwaffe nimmt er mit nach draußen und wirft ihn hinter eine kleine Mauer neben Halle 3. Dort liegt jede Menge Müll herum – der Plastikbeutel fällt da nicht weiter auf.
Außerdem hat es angefangen zu schneien. Kevin Ferbers Stimmung steigt, als er durch den Flockenwirbel hinüber zur Presse geht. Der Schnee wird ihm helfen, sagt er sich, die Leiche endgültig verschwinden zu lassen.
Eine halbe Stunde nach Mitternacht hat die Nachtschicht ihre erste Pause. Kevin Ferber sitzt mit seinem Kollegen Jan Friedrich und einigen anderen Recyclinghof-Mitarbeitern im Aufenthaltsraum. Er ist wie gewöhnlich wortkarg und beteiligt sich nicht an den Gesprächen. Den Kollegen kommt er wie immer vor: abweisend und desinteressiert.
Außer Atem platzt am Ende der Pause Christa Hallberg in den Aufenthaltsraum. Sie ist Anfang vierzig und arbeitet wie Nadine Gastrow als Sortiererin am Fließband.
»Im Kloraum hat irgendwer wie eine Sau geblutet!«, verkündet sie.
Die Anwesenden überschütten sie mit Fragen. Nur Kevin Ferber scheint wieder mal alles kaltzulassen. Eine Toilette sei mit blutigem Klopapier verstopft, berichtet Christa Hallberg, und die Klobrille sei blutverschmiert. Sie rätseln eine Weile herum, was es mit dem Blut auf sich haben könnte. Besonders beunruhigt scheint aber niemand zu sein. Doch zumindest beschließen sie, ihren Vorgesetzten zu informieren. Christa Hallberg ruft Paul Kühnhardt an.
Gegen Viertel vor eins erscheint der Schichtleiter in der Damenumkleide. Paul Kühnhardt ist ein altgedienter Recyclinghof-Mitarbeiter und so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen. Er schaut sich im Dusch- und Toilettenbereich um und findet weitere Blutspuren am Heizkörper. Draußen vor dem Toilettenfenster bemerkt er außerdem einen Rucksack und einen Frauenturnschuh.
Da haben sich wohl wieder mal zwei in die Haare gekriegt, sagt sich Kühnhardt, und eine von ihnen ist unglücklich gegen die Heizung geknallt. Spontan fallen ihm noch weitere mögliche Erklärungen ein. Keine davon stellt aus seiner Sicht einen Grund dar, die Polizei zu rufen.
In seinem Gewerbe herrschen rauhe Sitten. Meinungsverschiedenheiten werden regelmäßig mit den Fäusten ausgetragen. Auch zwischen den weiblichen Bediensteten kommt es öfter zu Handgreiflichkeiten. Außerdem fahren täglich zahllose Lkw-Fahrer den Hof an, liefern Wertstoffe ab, lungern herum, bis ihre Fuhre abgefertigt ist. Manch einer hält nebenher Ausschau nach Diebesgut. Die Spinde der Bediensteten werden häufig aufgebrochen. Erst im letzten Herbst wurde mehrfach Damenunterwäsche aus den Schränken in der Umkleide geklaut. Weiß der Henker, wer den Rucksack und den Schuh aus dem Fenster geworfen hat, sagt sich Kühnhardt.
Er schickt alle Bediensteten an ihre Arbeitsplätze zurück. Außerdem ordnet er an, dass das Putzgeschwader am nächsten Morgen die verunreinigten Räume in der Damenumkleide besonders gründlich säubern soll.
Um Viertel nach eins hat sich die Aufregung wieder weitgehend gelegt. Kevin Ferber vergewissert sich, dass ihn niemand beobachtet, dann schleicht er zu den Papiercontainern und zieht den Plastiksack unter der Pappe hervor.
Er schleppt die Tote zu einem Radlader, der gleichfalls in Halle 3 steht, und legt sie vorne in die Schaufel. Er klettert auf den Fahrersitz, startet den Kleinbagger, bringt den Arm mit der Schaufel in die höchstmögliche Position und macht sich auf den Weg.
Quer über den Hof fährt er zu einem Container für Drahtabfälle, der in einer abgelegenen Ecke im Freien steht. Es schneit immer noch, und Kevin sagt sich wieder, dass das sehr gut für ihn ist.
Der Drahtcontainer wird immer freitags abgeholt. Bis dahin sind es noch drei Tage. Aber wenn es weiter so schneit, wird niemandem auffallen, dass der Container nicht nur Drahtabfälle enthält. Sondern überdies einen stabilen Plastiksack, an dessen Inhalt Kevin lieber nicht mehr denkt. Stattdessen sagt er in Gedanken nur noch »der
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