Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Plastiksack« oder einfach »das Ding«.
Er muss den Plastiksack wegschaffen, und genau das macht er jetzt auch. Unterwegs begegnet er allerdings seinem Kollegen Sky Krapottke, der Schnee vom Fahrweg zwischen den Hallen fegt und ihm mit offensichtlicher Verblüffung hinterherstarrt. Aber deshalb hat Kevin schließlich die Schaufel in Höchstposition gebracht: damit niemand sehen kann, was er dort transportiert.
Als er beim Container angekommen ist, senkt er den Schaufelarm und lässt den Plastiksack hineinplumpsen. Der versinkt gleich zur Hälfte in einem Gemenge aus Schnee und Drahtknäueln. Weiterhin schneit es kräftig. In höchstens einer Stunde, sagt sich Kevin, wird das Ding vollkommen mit Schnee bedeckt sein.
Ihm ist nicht ganz klar, wohin der Drahtcontainer immer Ende der Woche gebracht wird. Aber er stellt sich vor, dass er dort in eine Metall- oder Schrottpresse entleert und sein Inhalt zu handlichen Würfeln zusammengepresst wird.
Er fährt zurück zu Halle 3, stellt den Radlader ab und arbeitet weiter an der Presse.
Um drei Uhr beginnt die nächste Pause der Nachtschicht. Wieder sitzt Kevin mit Jan Friedrich und anderen Kollegen im Aufenthaltsraum. Wie üblich beteiligt er sich nicht an den Gesprächen, und niemandem fällt etwas Ungewöhnliches an ihm auf.
Die Nachtschicht endet um sieben Uhr früh. Kevin Ferber fährt mit dem Bus nach Hause.
In Berlin-Marzahn bewohnt er drei Zimmer im Haus seiner Mutter und seines Stiefvaters. Kevin wohnt im Erdgeschoss, während der Rest der Familie im ersten Stock und in den Dachmansarden lebt. Seiner Mutter hat er verboten, seine Räume zu betreten. Er isst oben bei ihr und seinen beiden jüngeren Brüdern, wenn sein Stiefvater außer Haus ist. Er lässt auch seine Wäsche von seiner Mutter waschen, aber seine Wohnung will er selbst in Ordnung halten.
Allerdings ist es lange her, dass er zuletzt das Bad oder die Küche geputzt oder den Abfall nach draußen gebracht hat. Es stinkt wie auf einer Müllkippe. Das fällt ihm aber nur selten auf. Schließlich ist er an den Gestank von seiner Arbeit her gewöhnt.
Kevin bahnt sich einen Weg zu seinem Bett und legt sich erst mal hin. Im Einschlafen schreckt er mehrfach hoch und sieht Nadine Gastrow vor sich, wie sie ihn ängstlich anschaut. Bestimmt sind ihre Eltern traurig, wenn sie erfahren, dass Nadine tot ist, sagt er sich. Doch dann drängt er jeden Gedanken an seine Tat beiseite und schläft ein.
Torsten Meller, der diensthabende Schichtleiter der nächsten Spätschicht, ist beunruhigt. Mittlerweile ist es fast 15 Uhr, und Nadine Gastrow ist nicht zur Arbeit erschienen. Eine ganze Stunde Verspätung, so etwas ist bei ihr noch nie vorgekommen. Bisher war sie immer die Pünktlichkeit in Person. Und gerade jetzt, wo sie einen festen Arbeitsvertrag bekommen soll, wird sie doch nicht blaumachen.
Bei der Schichtübergabe hat ihm der Leiter der Frühschicht erzählt, letzte Nacht habe es einen Zwischenfall in der Damenumkleide gegeben. Anscheinend sei Blut geflossen.
Vielleicht war Nadine Gastrow irgendwie in diese Sache verwickelt, überlegt Torsten Meller. Die junge Frau ist eigentlich zu hübsch und vor allem zu sorglos für einen Job auf dem Recyclinghof. Ihre männlichen Kollegen stellen ihr mehr oder weniger alle nach. Die Müllfahrer pfeifen ihr hinterher und machen ihr eindeutige Angebote. Torsten Meller denkt an das Blut in der Damenumkleide und greift zum Telefon.
Als Erstes ruft er Nadine Gastrows Vermieterin an. Die ältere Dame, bei der sie zur Untermiete wohnt, erklärt sofort, dass Nadine letzte Nacht nicht nach Hause gekommen sei. »Das ist noch nie passiert!«, ruft die Vermieterin aus. »Ich mache mir Sorgen.« Sie habe selbst schon bei einer Freundin von Nadine Gastrow angerufen, erklärt sie weiter. Ihre Untermieterin habe ihr diese Nummer für Notfälle gegeben – aber die Freundin habe auch nichts von ihr gehört. Dabei seien die beiden jungen Frauen gestern Abend mehr oder weniger fest verabredet gewesen. Aber Frau Glawig habe vergeblich auf ihre Freundin gewartet.
Torsten Meller ist nun ernsthaft beunruhigt. Er ruft auch die Freundin von Nadine Gastrow an und lässt sich bestätigen, was er eben von der Vermieterin erfahren hat. Ein paar Minuten lang überlegt er dann noch hin und her.
Er kann gut verstehen, dass Paul Kühnhardt nicht gleich die Polizei alarmiert hat. Als Schichtleiter hat man am Ende nur Scherereien – mit der Polizei wegen irgendwelcher Versäumnisse und mit der
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