Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
töten! Egal wen! Dann bist du supergut drauf!
Kevin Ferber schiebt das Messer in die Beintasche seiner Arbeitshose und geht zur Halle 3 hinüber. Er fühlt sich wie unter Strom. Andauernd spürt er ein Klicken in seinem Kopf, und ihm ist vollkommen klar, was das Klicken bedeutet: Töte jemanden!
In Halle 3 hält er nach einem möglichen Opfer Ausschau. Aber hier ist weit und breit niemand. Während er sich umsieht, kommt immer mehr heiße Wut in ihm hoch.
Mein ganzes bisheriges Leben ist ein einziger beschissener Reinfall, denkt er. Und dafür soll jetzt irgendjemand büßen!
Er geht in die Herrenumkleide, aber da ist auch niemand. Im Toilettenbereich raucht er erst einmal eine Zigarette, und währenddessen wird der Gedanke, einen Menschen zu töten, in ihm immer stärker. Seit vielen Jahren stellt er sich vor, wie es wäre, seinen Stiefvater zu erschießen. Der würde um Gnade wimmern und sich winselnd dafür entschuldigen, dass er Kevin unzählige Male verdroschen hat. Aber Kevin würde ihm seine Pistole an die Stirn halten und abdrücken, ohne mit der Wimper zu zucken.
In Wirklichkeit besitzt er allerdings keine Schusswaffe, und sein Stiefvater ist ein ausgebildeter Security-Mann und viel kräftiger als er. Also ist Kevin all die Jahre, wenn der Hass wieder mal in ihm hochgeschossen kam, vor die Tür gerannt und hat eine Zigarette geraucht, um sich zu beruhigen. Oder er hat stundenlang seine Ballerspiele am Computer gespielt. Vor allem Call of Duty, sein absolutes Lieblingsspiel, bei dem es darum geht, so viele Feinde wie nur möglich mit allen Arten von Waffen zu töten.
Auch heute Vormittag und die halbe letzte Nacht hat er Call of Duty gespielt, aber diesmal hat es nicht wie sonst geklappt. Er ist von seinen Feinden eingekreist und schließlich getötet worden. Bei der nächsten Runde hat er sie zwar alle besiegt, aber irgendwie hat es ihn nicht wie sonst immer befriedigt.
Im Gegenteil, schon auf dem Weg zur Arbeit hat er sich unruhig gefühlt wie ein gefangenes Raubtier. Und dann ist er auch noch mit dem verdammten Messer abgerutscht und hat sich in den Finger geschnitten!
Wieder klickt es in seinem Kopf: Töte jemanden – egal wen!
Er geht hinüber zur Damenumkleide und macht leise die Tür auf. Bei den Spinden steht Nadine Gastrow, mit dem Rücken zu ihm. Sie ist schlank, hat lange blonde Haare und ist nur ein paar Zentimeter kleiner als er. Aber er hat schließlich das Messer – und außerdem hat sie ihn noch nicht bemerkt.
Er zieht das Messer aus der Tasche. Wieder macht es in seinem Kopf ganz deutlich »klick«.
In Nadine Gastrows Kopfhörern singt Pink ekstatisch Please don’t leave me. Dass sie nicht mehr allein in der Umkleide ist, merkt sie erst, als jemand von hinten seinen Arm um ihren Hals schlingt.
Kevin reißt sie rückwärts zu Boden. Nadine schreit um Hilfe. Da schlägt er ihr mit der linken Faust brutal ins Gesicht, auf den Kopf und die Brust. In der rechten Hand hält er nach wie vor das Messer.
Nadine verstummt und sieht ihn nur noch ängstlich an. Kevin hievt sie wieder auf ihre Füße und dirigiert sie ohne ein Wort in den Sanitärbereich der Damenumkleide.
Eigentlich wollte er sie auf der Stelle töten – und umbringen will er sie auch nach wie vor. Aber irgendwie kann er sich nicht entschließen, ihr sofort die Klinge ins Herz zu stoßen. Im Duschraum trennt er mit seinem Messer die Kabel von zwei Haartrocknern ab. Mit dem einen Kabel bindet er Nadine Gastrows Füße zusammen. Mit dem anderen fesselt er ihr die Hände hinter dem Rücken.
Als sie erneut um Hilfe schreien will, reißt er sich seinen Schal vom Hals und knebelt sie damit. Es handelt sich um einen schwarz-rot-goldenen Fan-Schal mit der Aufschrift Deutschland. Kevin Ferber trägt ihn seit Wochen tagein, tagaus bei der Arbeit. Genauso gut hätte er seinem Opfer auf die Stirn schreiben können: Das war ich. Kevin Ferber.
Aber der junge Mann ist des Schreibens kaum fähig und kann sich auch mündlich nur in einfachsten Sätzen verständlich machen. Er hat eine Schule für Lernbehinderte besucht und ohne Abschluss nach der neunten Klasse verlassen.
Während er den Schal hinter ihrem Kopf verknotet, hört er seinen älteren Kollegen Jan Friedrich vom Hof her nach ihm rufen.
»Wo steckst du denn, Kevin?«, schreit Jan Friedrich. »Warum bist du nicht beim Schredder, verdammt noch mal!«
Kevin Ferber zerrt Nadine Gastrow zu einer Toilettenkabine. Er stößt sie hinein und schließt die Kabinentür.
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