Die Kleinbürger (German Edition)
gegenüber den Mund über den Vertrauensbruch, dessen Opfer er geworden war.« »Das ist wirklich kolossal!« sagte Cérizet; die Erzählung fesselte ihn außerordentlich, und er ließ durchblicken, daß er die Sache als Kenner und Künstler beurteilte.
»Inzwischen,« erzählte du Portail weiter, »starb Fräulein Beaumesnil und hinterließ ihrer Tochter die Reste eines großen Vermögens und vor allem die Diamanten, ›wenn sie sich wiederfinden sollten‹, wie ausdrücklich im Testament erwähnt wurde.«
»Oh, oh!« sagte Cérizet, »die Sache wird brenzlich für Toupillier; denn wenn er mit einem Manne von Ihrem Geiste zu tun hat ...«
»Nur von dem Gedanken an Rache erfüllt, war der erste Schritt Charles Crochards, als er wieder frei geworden war, daß er Toupillier wegen Hehlerei bei dem Diamantendiebstahl anzeigte. Vorgeladen, verteidigte sich Toupillier jedoch mit solcher Unbefangenheit, daß der Untersuchungsrichter ihn mangels irgendeines Beweises für die Anschuldigung freilassen mußte. Er verlor allerdings sofort seine Stelle als Weihwasserspender und erlangte nur mit großer Mühe die Erlaubnis, an der Kirchentür von Saint-Sulpice betteln zu dürfen. Ich war von seiner Schuld überzeugt; trotz der Niederschlagung der Sache erreichte ich es, daß er scharf beobachtet wurde, vor allem aber rechnete ich hierbei auf mich selbst. Da ich als Rentier viel freie Zeit hatte, so heftete ich mich an die Sohlen des Spitzbuben und machte seine Überführung zur Hauptaufgabe meines Lebens. Er wohnte damals in der Rue du Coeur-Volant; es gelang mir, ein dem seinigen benachbartes Zimmer zu mieten, und eines Abends sah ich durch ein Loch, das ich mir mit geduldiger Arbeit durch die Mauer gebohrt hatte, wie unser Mann aus einem sehr sinnreich angelegten Versteck das Etui herausnahm und länger als eine Stunde damit verbrachte, unsere Diamanten, die er im Licht funkeln ließ und leidenschaftlich an seine Lippen drückte, voller Entzücken zu betrachten; der Mensch war in sie selber verliebt und dachte niemals daran, sie zu Geld zu machen.«
»Ich verstehe,« sagte Cérizet, »es war eine Leidenschaft, wie die des Juweliers Cardillac, woraus man ein Melodrama gemacht hat.«
»Genau so,« sagte du Portail, »der Elende war in den Schmuck verliebt; als ich daher bei ihm eindrang und ihm erklärte, daß ich alles wisse, schlug er mir, um nicht dessen, was er den Trost seines Alters nannte, beraubt zu werden, vor, es ihm, solange er noch lebe zu belassen; er wolle sich als Entgelt dafür verpflichten, Fräulein de la Peyrade zu seiner Universalerbin zu machen, wobei er mir gleichzeitig eröffnete, daß ein ziemlich hoher Geldbetrag in Goldstücken sich in seinen Händen befinde, den er täglich vermehre; außerdem besäße er noch ein Grundstück und seine Staatsrenten.«
»Wenn man ihm trauen konnte,« sagte Cérizet, »so war das ein annehmbarer Vorschlag; die Zinsen des in dem Schmuck angelegten toten Kapitals wurden ja durch die andern Nachlaßgegenstände reichlich aufgewogen.«
»Sie sehen, mein Lieber,« sagte du Portail, »daß ich mich nicht mit Unrecht auf ihn verlassen habe. Übrigens waren Vorsichtsmaßregeln von mir getroffen: ich hatte verlangt, daß er in mein Haus ziehe, wo ich ihn unter meinen Augen hatte; auf meine Anordnung wurde auch der Versteck angebracht, dessen Geheimnis Sie so geschickt herausbekommen haben; was Sie aber hierbei nicht ahnten, war, daß bei mir, sobald jemand den eisernen Schrank öffnete, ein sehr lautes Glockenzeichen ertönte, das mich von allen Angriffsversuchen auf unsern Schatz in Kenntnis setzte.«
»Arme Frau Cardinal!« rief Cérizet scherzhaft aus, »wie ahnungslos ist sie gewesen!«
»Die Lage ist nun folgende,« sagte du Portail: »Aus Interesse für den Neffen meines alten Freundes, und weil mir angesichts der Verwandtschaft eine solche Heirat sehr passend erscheint, will ich, daß Theodosius seine Kusine, die eine solche Mitgift besitzt, heiratet. Da es möglich ist, daß la Peyrade mit Rücksicht auf den Geisteszustand seiner Zukünftigen sich weigern wird, meinen Absichten zu entsprechen, habe ich es nicht für schicklich gehalten, ihm meinen Vorschlag direkt zu machen. Da bin ich Ihnen begegnet, ich weiß, daß Sie geschickt und schlau sind, und so kam mir sofort der Gedanke, Sie mit diesem kleinen Ehevermittelungs-Geschäft zu betrauen. Jetzt sollen Sie also, verstehen Sie mich recht, ihm von einem reichen jungen Mädchen sprechen, das zwar einen kleinen
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