Die Kleinbürger (German Edition)
seinem Schreibtische, und erst als die geringfügige Unordnung beseitigt war, wandte er sich an Cérizet und sagte:
»Wissen Sie schon, daß wir den armen Toupillier heute nacht verloren haben?«
»Nein, wahrhaftig nicht«, sagte Cérizet und zeigte einen so teilnehmenden Ausdruck, wie er nur konnte; »ich höre von Ihnen, mein Herr, das erste Wort davon.«
»Sie hätten sich das eigentlich denken können; wenn man einem Todkranken einen Riesentopf heißen Wein zu trinken gibt, der noch dazu mit einem Narkotikum versetzt ist – denn schon nach einem einzigen Glas davon ist Frau Perrache in einen die ganze Nacht dauernden, beinahe tödlichen Schlaf verfallen –, so hat man doch sicherlich das Ende beschleunigen wollen.«
»Ich habe keine Ahnung, mein Herr,« sagte Cérizet würdevoll, »was Frau Cardinal ihrem Onkel eingegeben haben mag. Ich war gewiß leichtsinnig, als ich dieser Frau bei ihren ›Sicherungsmaßregeln‹ Beistand leistete, die sie mit Rücksicht auf ihre Erbansprüche treffen zu müssen glaubte, auf die sie, wie sie mir zu verstehen gab, ein wohlerworbenes Recht hatte; aber ein Attentat auf das Leben des Greises auszuüben, dazu bin ich nicht imstande, und niemals ist mir etwas Ähnliches auch nur in den Sinn gekommen.«
»Haben Sie diesen Brief an mich geschrieben?« sagte du Portail unterbrechend und zog unter einer Kugel aus böhmischem Glas ein Papier hervor, das er seinem Gaste vorzeigte.
»Diesen Brief?« antwortete Cérizet zögernd, wie jemand, der im Zweifel ist, ob er ableugnen oder zugestehen soll.
»Ich bin überzeugt davon,« fuhr du Portail fort, »ich bin nämlich Autographensammler und besitze auch eins von Ihnen aus der Zeit, wo die Opposition Sie als glorreichen Märtyrer verherrlichte; ich habe die Schriftzüge verglichen, und jedenfalls waren Sie es, der mich gestern mit diesen Zeilen von der Geldverlegenheit benachrichtigt hat, in der sich der junge la Peyrade augenblicklich befindet.«
»Da ich wußte,« sagte jetzt der Mann aus der Rue des Poules, »daß Sie ein junges Mädchen namens la Peyrade, die eine Kusine von Theodosius sein muß, bei sich aufgenommen haben, so habe ich in Ihnen den unbekannten Gönner zu sehen geglaubt, dessen großmütigen Beistand mein Freund bei mehr als einer Gelegenheit erfahren hat; da ich eine lebhafte Zuneigung für diesen armen Jungen besitze, so habe ich mir erlaubt ...«
»Sie haben wohl daran getan«, unterbrach ihn du Portail. »Ich bin entzückt, daß ich in Ihnen einen Freund la Peyrades gefunden habe. Ich will Ihnen auch nicht verhehlen, daß vornehmlich dieser Umstand Sie gestern abend geschützt hat. Aber was bedeuten diese fünfundzwanzigtausend Franken Wechselschulden? Steht es denn schlecht mit den Verhältnissen unsres Freundes? Führt er ein liederliches Leben?«
»Im Gegenteil,« erwiderte Cérizet, »er führt das Leben eines Puritaners. Da er sehr fromm ist, wollte er als Advokat seine Klientel nur unter den Armen haben. Er steht übrigens im Begriff, eine reiche Heirat zu machen.«
»Ah, er will sich verheiraten; und mit wem?«
»Es handelt sich um ein Fräulein Colleville, die Tochter eines Sekretärs bei der Bürgermeisterei des zwölften Bezirks. An sich hat das junge Mädchen kein Vermögen, aber ein Herr Thuillier, ihr Pate, Mitglied des Generalrats des Seinebezirks, will sie anständig ausstatten.«
»Und wie hat sich die Sache angesponnen?«
»La Peyrade hat der Familie Thuillier, in die er von Herrn Dutocq, dem Gerichtsvollzieher beim Friedensgericht des Bezirks, eingeführt war, große Dienste erwiesen.«
»Sie schreiben mir aber doch, daß die Wechsel zu Gunsten des Herrn Dutocq ausgestellt sind. Ist das etwa eine Provision für die Ehevermittlung?«
»Es könnte wohl so etwas sein«, antwortete Cérizet. »Solche Abmachungen sind, wie Sie wissen, in Paris sehr üblich; selbst Geistliche scheuen sich nicht, auf so etwas einzugehen.«
»Ist die Heirat schon nahe bevorstehend?« fragte du Portail.
»O ja, besonders seit einigen Tagen hat die Sache große Fortschritte gemacht.«
»Nun, mein werter Herr, ich rechne auf Sie, daß nichts daraus wird; ich habe andere Absichten mit Theodosius; ich will ihm eine andere Partie vorschlagen.«
»Aber erlauben Sie!« antwortete Cérizet; »diese Heiratspläne durchkreuzen, das heißt doch, ihm unmöglich machen, seine Schulden zu bezahlen; und ich fühle mich verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, daß diese Wechsel vollgültige Papiere sind. Herr Dutocq ist
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