Die Kleinbürger (German Edition)
würden, aber ich bin der Sache nun müde geworden, und um dieser Ausbeutung eines Menschen durch den andern schnell ein Ende zu machen, bin ich heute morgen hergekommen, um dir zu sagen, daß ich dir dein Wort zurückgebe; du kannst also über Celestes Hand verfügen; ich für meinen Teil erhebe keinen Anspruch mehr darauf.« Das Unerwartete und die bündige Form dieser Erklärung machten Thuillier sprachlos, um so mehr, als gerade in diesem Augenblick Brigitte hereintrat. Die Laune der Haustyrannin hatte sich ebenfalls seit dem gestrigen Abend erheblich gebessert, denn ihre vertrauliche Begrüßung war voll freundschaftlicher Liebenswürdigkeit.
»Ah, da sind Sie ja,« sagte sie zu la Peyrade, »Sie Advokatenpflänzchen!«
»Ich begrüße Sie, mein Fräulein«, antwortete der Provenzale ernst.
»Na,« fuhr die alte Jungfer fort, ohne auf das zeremonielle Gebaren la Peyrades zu achten, »die Regierung hat sich ja mit der Beschlagnahme eurer Broschüre hübsch in die Nesseln gesetzt! Man muß das lesen, wie die Zeitungen sie heute morgen zerpflücken! – Sieh mal,« fügte sie hinzu und reichte Thuillier ein Blatt in kleinem Format auf grobem Papier mit dicken, aber schlecht lesbaren Lettern gedruckt, »da ist noch eins, das du noch nicht gelesen hast; der Portier hat es eben heraufgebracht; das ist eine Zeitung aus unserm alten Viertel, das ›Echo de la Bièvre‹. Ich weiß nicht, ob Sie auch meiner Meinung sein werden, meine Herren, aber ich finde, daß dieser Artikel nicht besser geschrieben werden kann. Aber es ist doch komisch, wie unaufmerksam diese Journalisten sind: sie schreiben deinen Namen ohne h. Mir scheint, du müßtest dagegen Einspruch erheben.«
Thuillier nahm das Blatt und las den Artikel, zu dem den Chefredakteur der Gerberzeitung die Dankbarkeit für das Frühstück veranlaßt hatte. In ihrem ganzen Leben hatte Brigitte sich um keine Zeitung gekümmert, ausgenommen, wenn sie nachsah, ob sie die erforderliche Größe zum Einpacken ihrer Pakete hätte; aber in ihrer warmen Liebe zu ihrem Bruder hatte sie sich plötzlich zum Glauben an die Presse bekehrt, und hinter Thuillier stehend, las sie über seine Schulter weg noch einmal die hervorstechendsten Stellen der Seite, die ihr so überzeugend erschienen waren, und bezeichnete sie mit dem Finger.
»Ja,« sagte Thuillier und faltete das Blatt zusammen, »das klingt warm und sehr schmeichelhaft für mich ... Aber jetzt haben wir es hier mit einer ganz anderen Sache zu tun! Der hier anwesende Herr erklärt mir, daß er meine Verteidigung nicht übernehmen will und daß er auf Celestes Hand verzichtet.«
»Das heißt,« bemerkte Brigitte, »daß er, nachdem er dich verteidigt hat, verzichtet, wenn wir dann die Hochzeit nicht ›subito‹ ansetzen. Nun, was mich anlangt, ich finde das Verlangen des guten Jungen vernünftig. Wenn er das noch für uns gemacht hat, dann gibt's keinen Aufschub mehr, und ob sich Celeste damit abfinden will oder nicht, sie muß ihn eben nehmen, weil alles schließlich seine Grenze hat.«
»Da hörst du's, mein Lieber,« sagte la Peyrade und ging auf Brigittes Kommentar ein, »wenn ich dich verteidigt habe, dann soll die Heirat zustandekommen. Deine Schwester ist die Offenheit selbst und gebraucht nicht die geringste Diplomatie.«
»Diplomatie!« wiederholte Brigitte. »Na gewiß! Ich werde mich bei Geschäften noch mit so was befassen. Ich rede, wie ich denke: wenn der Arbeiter seine Arbeit getan hat, muß man ihn auch für seine Mühe bezahlen.«
»So schweig doch!« rief Thuillier und stampfte mit dem Fuß auf; »jedes Wort, das du redest, dreht ja noch den Dolch in der Wunde um.«
»Wie? Den Dolch in der Wunde?« fragte Brigitte; »was ist denn los? Seid ihr denn nicht mehr im Einverständnis miteinander?«
»Ich habe dir ja gesagt,« fuhr Thuillier fort, »daß la Peyrade uns eben von unserem Worte entbunden hat, und zwar deshalb, weil man einen neuen Dienst von ihm verlangt, wenn man ihm Celestes Hand bewilligen soll; er ist der Meinung, daß er uns bereits genug Dienste geleistet hat.«
»Gewiß hat er uns welche erwiesen,« antwortete Brigitte, »aber ich meine, wir sind doch auch nicht undankbar gewesen. Übrigens hat er ja die Dummheit gemacht, und ich würde es doch sehr merkwürdig finden, wenn er uns jetzt in der Verlegenheit sitzen lassen wollte.«
»Ihre Begründung, mein verehrtes Fräulein,« sagte la Peyrade, »könnte als berechtigt erscheinen, wenn es in Paris keinen andern Advokaten gäbe als
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