Die Kleinbürger (German Edition)
Französisch gelernt zu haben; sie war dick geworden und sah in ihrem reichen Staat wie eine Köchin aus, die ihren Herrn geheiratet hat.
Phellion, dieses Musterbild eines Kleinbürgers, besaß ebenso viele Vorzüge wie lächerliche Eigenschaften. Ein Subalterner während seiner ganzen Amtstätigkeit, hatte er Respekt vor den sozial Höherstehenden. Deshalb verhielt er sich auch Minard gegenüber schweigsam. Die kritische Zeit der Pensionierten hatte er für seinen Teil vortrefflich überstanden, und zwar in folgender Weise: Niemals vorher hatte dieser würdige, ausgezeichnete Mann seinen Neigungen entsprechen können. Er liebte die Stadt Paris, er interessierte sich für Baufluchtlinien, Verschönerungen, er konnte zwei Stunden lang vor Häusern, die abgebrochen wurden, stehen bleiben. Man konnte ihn dabei überraschen, wie er unerschütterlich, auf seine zwei Beine hingepflanzt, die Nase in der Luft, auf das Herabfallen eines Steins wartete, den ein Maurer oben auf der Mauer mit seiner Brechstange gelockert hatte, und wie er nicht eher vom Platze wich, als bis der Stein heruntergefallen war; und wenn er dann gefallen war, ging er weiter, glücklich wie ein Akademiker über den Durchfall eines romantischen Dramas. Als echte Statisten bei der großen menschlichen Komödie, übten Phellion, Leudigeois und ihresgleichen die Funktionen des antiken Chors aus. Sie weinten, wenn man weinen, sie lachten, wenn man lachen mußte, und sangen ihren Refrain zu den öffentlichen Leiden und Freuden, indem sie in ihrem Winkel über die Triumphe von Algier, Konstantinopel, Lissabon, Saint-Jean-d'Ulloa mit triumphierten und ebenso den Tod Napoleons und die verhängnisvollen Katastrophen von Saint-Merri und in der Rue Transnonnain bejammerten und berühmte Leute beklagten, die ihnen völlig unbekannt waren. Nur Phellion zeigte ein doppeltes Gesicht: er teilte seine Ansichten gewissenhaft zwischen der Opposition und der Regierung. Bei Straßenkämpfen besaß Phellion den Mut, vor seinen Nachbarn hervorzutreten; er begab sich nach der Place Saint-Michel, wo sich sein Bataillon versammelte, bedauerte die Regierung und tat seine Pflicht. Vor und während einer Emeute stand er auf Seiten der Julimonarchie; aber sobald ein politischer Prozeß eingeleitet wurde, ging er zu den Angeklagten über. Dieses ziemlich unschuldige »Wetterwendische« trat auch bei seinen politischen Ansichten hervor; seine Antwort auf alles war der nordische Koloß. England war für ihn, wie für den alten Constitutionel, eine Gevatterin mit zwei Gesichtern; abwechselnd war es das macchiavellistische Albion und das Musterland: macchiavellistisch, wenn es sich um die Interessen des beleidigten Frankreichs und Napoleons handelte; Musterland, wenn von den Fehlern der Regierung die Rede war. Er billigte wie seine Zeitung, das demokratische Element und lehnte in der Unterhaltung jedes Paktieren mit dem republikanischen Geiste ab. Der republikanische Geist, das war das Jahr 1793, das war die Emeute, der Terror, das Agrargesetz. Das demokratische Element, das war die Entwicklung des Kleinbürgertums, das war die Herrschaft der Phellions.
Dieser ehrenwerte Alte gab sich immer würdevoll; aus dieser würdevollen Haltung erklärt sich sein ganzes Leben. Er hatte seine Kinder würdig erzogen; er war in ihren Augen immer der Vater geblieben, und er hielt darauf, daß ihm zu Hause Achtung erwiesen wurde, wie man Achtung vor der Regierung und den Vorgesetzten haben soll. Niemals hatte er Schulden gemacht. Als Geschworener schwitzte er Blut und Wasser, um der Verhandlung des Prozesses folgen zu können, und niemals lachte er, selbst nicht, wenn der Gerichtshof, die Zuhörer und der Staatsanwalt lachten. Außerordentlich dienstwillig, opferte er seine Bemühungen, seine Zeit, nur nicht sein Geld. Sein Sohn Felix, der Professor, war sein Idol; er hielt ihn für fähig, Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu werden. Thuillier, ein neutrales Element zwischen der vorlauten Nichtigkeit Minards und der gravitätischen Albernheit Phellions, neigte sich mit seinen trüben Erfahrungen bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Er verbarg die Leerheit seines Kopfes hinter Banalitäten, wie er seinen gelben Schädel unter den fadenscheinigen Strähnen seines grauen Haars versteckte, die der Kamm des Friseurs mit außerordentlicher Geschicklichkeit von unten hinaufzog.
»In jeder andern Karriere«, pflegte er zu sagen, wenn er von der Verwaltung sprach, »hätte ich mir ein ganz
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