Die Kleinbürger (German Edition)
anderes Vermögen erworben.«
Er hatte gesehen, wie das Gute theoretisch möglich, aber praktisch unmöglich war, und wie die Ergebnisse mit den Erwartungen in Widerspruch standen, und er erzählte von Ungerechtigkeiten, Intrigen und der Affäre Rabourdin.
»Hiernach kann man an alles und an nichts glauben,« sagte er. »Ach, so eine Verwaltung, das ist eine verdrehte Sache; ich bin glücklich, daß ich keinen Sohn habe, der solch eine Karriere einschlagen könnte.«
Colleville, immer lustig, rund und gutmütig, Witze erzählend und Anagramme machend, war das Bild des tüchtigen, spottlustigen Bourgeois, die Begabung ohne Erfolg, die hartnäckige Arbeit ohne Resultat, aber auch die gutmütige Resignation, der Witz ohne Bosheit und die nutzlose Kunst, denn er war ein ausgezeichneter Musiker, spielte aber nur für seine Tochter.
Dieser Salon war also eine Art Provinz-Salon, aber von dem Reflex des dauernden Pariser Leuchtfeuers überstrahlt: mit seiner Mittelmäßigkeit, seinen Plattitüden folgte er dem Strom des Jahrhunderts. Das Modewort und die Modesache, denn in Paris verhalten sich Wort und Sache zueinander wie Pferd und Reiter, gelangten erst aus zweiter Hand dorthin. Man wartete ungeduldig auf Herrn Minard, der bei wichtigen Angelegenheiten die Wahrheit wissen mußte. Die Frauen im Salon Thuillier standen auf Seiten der Jesuiten, die Männer verteidigten die Universität; aber im allgemeinen hörten die Frauen zu. Ein geistvoller Mann, der die Langeweile solcher Abende hätte ertragen können, würde wie bei einem Lustspiel Molières gelacht haben, wenn er nach langen Diskussionen solche Dinge gehört hätte wie:
»Konnte die Revolution von 1789 vermieden werden? Die Anleihen Ludwigs XIV. waren ein starker Anstoß dazu. Ludwig XV., ein Egoist, ein Mann von beschränktem Geiste (er hat gesagt: »Wenn ich Polizeileutnant wäre, würde ich die Kabriolets verbieten«), ein liederlicher König, man kennt seinen Hirschpark! hat viel dazu beigetragen, daß sich der Abgrund der Revolution öffnete. Herr von Necker, ein übelgesinnter Genfer, hat den Anstoß dazu gegeben. Das Maximum hat der Revolution sehr unrecht getan. Von Rechts wegen hätte Ludwig XVI. nicht verurteilt werden dürfen; von einer Geschworenenbank wäre er freigesprochen worden. Weshalb hat Karl X. den Thron verloren? Napoleon war ein großer Mann, und die Einzelheiten, die sein Genie bezeugen, sind in. Anekdoten enthalten: er nahm fünf Prisen Tabak in der Minute und aus ledergefütterten Taschen, die in seine Westen eingenäht waren. Er bezahlte alle Rechnungen der Lieferanten; er ging selbst nach der Rue Saint-Denis, um den Preis der Waren zu erfahren. Er hatte Talma zum Freunde; Talma brachte ihm seine Gesten bei, und trotzdem hat er sich immer geweigert, Talma einen Orden zu verleihen. Der Kaiser ist auf Wache gezogen für einen Soldaten, der verschlafen hatte, damit dieser nicht erschossen würde. Deshalb beteten ihn die Soldaten an. Ludwig XVIII., der ein geistvoller Mann war, hat doch darin unrecht getan, daß er ihn mit Herr von Buonaparte anredete. Der Fehler der gegenwärtigen Regierung besteht darin, daß sie sich führen läßt, anstatt selbst zu führen. Sie erniedrigt sich selbst. Sie fürchtet sich vor energischen Männern; sie hätten den Vertrag von 1815 zerreißen und von Europa den Rhein verlangen müssen. Man arbeitet im Ministerium zu lange mit denselben Männern.«
»Sie haben nun genug Geist entwickelt,« pflegte Fräulein Thuillier nach solchen lichtvollen Aussprüchen zu sagen: »Der Tisch ist hergerichtet, machen Sie Ihre kleine Partie.« Die alte Jungfer beendete immer die Diskussionen, bei denen sich die Damen langweilten, mit einem solchen Vorschlage.
Wären diese früheren Vorgänge und all diese allgemeinen Bemerkungen nicht in der Form von Schlußfolgerungen vorgebracht worden, um den Rahmen für diese Erzählung zu bilden und einen Begriff vom Geiste dieser Gesellschaft zu geben, so würde die dramatische Entwicklung darunter gelitten haben. Im übrigen ist diese Skizze historisch treu und schildert eine gesellschaftliche Schicht von gewisser sozialer Bedeutung, besonders wenn man bedenkt, daß die politischen Maximen der jüngeren Linie der Königsfamilie sich auf sie gestützt haben.
Der Winter des Jahres 1839 war sozusagen die Zeitspanne, in der der Salon der Thuilliers seinen höchsten Glanz erreichte. Die Minards erschienen fast alle Sonntage und pflegten, auch wenn sie anderswo eingeladen waren, eine
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