Die Kleinbürger (German Edition)
er doch zureichende Gründe haben; ich bin, Gott sei Dank, eine Frau gewesen, der er niemals etwas vorzuwerfen gehabt hat.«
»Du Schlange! Du Heuchlerin! Du herzloses Weib!« schrie Brigitte, die mit ihren Argumenten zu Ende war.
»Du befindest dich hier bei mir, Schwägerin ...« sagte Frau Thuillier.
»Was sagst du, du Jammerlappen?« schrie die alte Jungfer aufs äußerste gereizt, »wenn ich mich nicht zurückhielte ...«
Und sie machte eine Bewegung, die gleichzeitig eine Beschimpfung und eine Drohung war.
Frau Thuillier erhob sich, um das Zimmer zu verlassen.
»Du kommst hier nicht weg,« rief Brigitte und zwang sie, sich wieder zu setzen, »und bis Thuillier nicht entschieden hat, bleibst du eingeschlossen!«
Als Brigitte mit brennendrotem Gesicht wieder in das Zimmer zurückkam, in dem sie Frau Colleville verlassen hatte, fand sie dort ihren Bruder, dessen bevorstehende Rückkehr sie schon angekündigt hatte. Thuillier strahlte.
»Alles geht vortrefflich, meine Liebe«, sagte er zu der Megäre, deren Aufregung er nicht bemerkte; »die Verschwörung, uns totzuschweigen, ist erledigt; zwei Zeitungen, der ›National‹ und ein karlistisches Organ, drucken heute morgen einen Artikel von uns ab, und in einem ministeriellen Blatte findet sich ein kleiner Angriff auf uns.«
»So, alles geht aber nicht vortrefflich,« antwortete Brigitte, »und wenn das hier so weiter geht, werde ich die Bude verlassen!«
»Auf wen zielt denn das?« fragte Thuillier.
»Auf deine unverschämte Frau, die mir eben eine Szene gemacht hat; ich zittere noch davon.«
»Celeste eine Szene machen?« sagte Thuillier; »aber das wäre ja das erstemal in ihrem ganzen Leben.«
»Alles fängt mal an, und wenn du da nicht eingreifst ...«
»Aber weshalb denn eine Szene?«
»Weil Madame nichts von la Peyrade für ihr Mündel wissen will; und vor Ärger, daß sie die Heirat nicht verhindern kann, erklärt sie, daß sie Celeste im Kontrakt nichts aussetzen will.«
»Na, beruhige dich nur«, sagte Thuillier ohne sich aufzuregen – daß das ›Echo‹ in die Polemik hineingezogen war, hatte ihn zu einem zweiten Pangloß gemacht – »ich werde das alles schon in Ordnung bringen.«
»Sie, Flavia,« sagte Brigitte, während Thuillier sich zu seiner Frau begab, »werden mir den Gefallen tun, hinunterzugehen und Fräulein Celeste zu sagen, daß ich sie vorläufig nicht sehen will, denn ich wäre imstande, wenn sie mir eine dumme Antwort gäbe, sie zu ohrfeigen; Sie werden ihr sagen, daß ich keine Komplotte liebe, daß man ihr ja freigestellt hat, den jungen Herrn Phellion zu wählen, daß sie ihn aber nicht gewollt hat, und daß sie, wenn sie nicht ihre Mitgift auf das beschränkt sehen will, was ihr ihr geben könnt, und was ein Bankangestellter bequem in seine Westentasche stecken könnte ...«
»Meine liebe Brigitte,« unterbrach sie Flavia und warf sich in die Brust gegenüber dieser Unverschämtheit.
»Sie sollten es doch unterlassen, uns so unfein an unsere Armut zu erinnern; wir haben doch schließlich niemals etwas erbeten und immer pünktlich unsere Miete gezahlt; nicht, daß ich mich mit solchen Absichten trüge, aber Herr Felix Phellion würde Celeste gern mit der Mitgift nehmen, die ein Bankangestellter in seine ›Westentasche‹ stecken kann.«
Und sie unterstrich dieses Wort durch seine Betonung.
»Was?« rief Brigitte, »fangen Sie jetzt auch noch damit an? Na, dann holen Sie sich doch Ihren Felix! Ich weiß es ja recht gut, daß Ihnen diese Heirat niemals gepaßt hat, weil Sie nicht gern bloß die Schwiegermutter Ihres Schwiegersohns sein wollen.«
Flavia hatte ihre Kaltblütigkeit, die sie einen Augenblick verlassen hatte, wieder gewonnen, und antwortete auf diese Insinuation nur mit einem Achselzucken.
Jetzt erschien Thuillier wieder; seine fröhliche Stimmung war vorüber.
»Meine liebe Brigitte,« sagte er zu seiner Schwester, »du hast gewiß das beste Herz; aber manchmal bist du von einer Heftigkeit! ...«
»So!« rief die alte Jungfer, »jetzt soll ich mich auch noch darüber zu verantworten haben.« »Ich mache dir ja in der Sache selbst keine Vorwürfe, und ich habe Celeste ernstlich ausgescholten; aber man muß doch gewisse Formen bewahren.«
»Was erzählst du mir da von Formen? Was für Formen habe ich denn verletzt?«
»Aber, meine Liebe, wie konntest du die Hand gegen deine Schwägerin aufheben!«
»Ich habe meine Hand gegen dieses Schaf aufgehoben? Das ist wirklich nicht schlecht!«
»Und
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