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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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bei Südländern der Fall ist. Es mag nebenbei bemerkt werden, daß auch bei den Korsen, Leuten, die zu Aufwallungen und zu den gefährlichsten Zornausbrüchen neigen, sich häufig solche blonden, anscheinend ruhigen Erscheinungen finden. Diese bleichen, ziemlich dicken Männer mit unruhigen grünen oder blauen Augen sind die schlimmste Sorte in der Provence, und Charles-Marie-Theodosius de la Peyrade war ein gutes Beispiel dieser Gattung, deren Wesen ein sorgfältiges Studium seitens der Medizin und der Physiologie verdiente. Es kocht in ihnen eine Art Galle, ein bitterer Hohn, der ihnen zu Kopf steigt und sie zu brutalen Handlungen, die scheinbar kühl ausgeführt werden, hinreißt. Das Ergebnis eines geistigen Rausches, scheint diese Art stummer Wut unvereinbar mit ihrer gewissermaßen lymphatischen äußeren Hülle und dem ruhigen Ausdruck ihres freundlichen Blickes.
    In der Umgegend von Avignon geboren, war der junge Provenzale mit dem erwähnten Namen von mittlerer Statur, wohlproportioniert, beinahe dick, von farblosem Teint, der weder blaß, noch matt, noch leuchtend, sondern gallertartig war, denn diese Bezeichnung kann allein einen Begriff von dieser weichen matten Oberfläche geben, unter der sich weniger starke als im gegebenen Moment außerordentlich widerstandsfähige Nerven verbargen. Die Augen von kaltem Blaßblau hatten gewöhnlich einen Ausdruck trügerischer Melancholie, der einen großen Reiz auf die Frauen ausüben mußte. Die gut geformte Stirn war nicht ohne Adel und paßte zu dem feinen, dünnen, hellbraunen Haar, das sich an den Enden leicht und natürlich lockte. Die Nase war, genau wie bei einem Jagdhunde, glatt, an der Spitze eingekerbt, neugierig und klug umhersuchend und immer spürend; sie gab dem Gesicht nicht einen gutmütigen, sondern einen ironischen, spöttischen Ausdruck; aber diese beiden Seiten des Charakters traten nicht deutlich hervor, und der junge Mann mußte erst aufhören, sich zu beobachten, und heftig werden, damit sein Sarkasmus und sein Geist, der dann einen teuflischen Spott entwickelte, hervorbrechen konnten. Sein ganz angenehm geschwungener Mund mit granatroten Lippen schien ein wundervolles Instrument für seine in der Mittellage, die Theodosius gewöhnlich festhielt, beinahe süße Stimme, die aber in der Höhenlage wie der Ton eines Gongs in den Ohren vibrierte. Diese Fistelstimme ertönte, wenn er nervös und gereizt war. Sein Gesicht, von gewollter Ausdruckslosigkeit, hatte ovale Form. Sein ganzes Wesen war in Übereinstimmung mit der priesterlichen Ruhe seines Antlitzes sehr zurückhaltend und angemessen, aber schmiegsam und entgegenkommend, ohne fuchsschwänzelnd zu sein, und es besaß eine gewisse Anziehungskraft, die man sich übrigens nicht erklären konnte, sobald er verschwunden war. Wenn das Reizvolle von Herzen kommt, so hinterläßt es einen tiefen Eindruck; ist es aber nur ein Kunstprodukt, dann feiert es, ebenso wie die Beredsamkeit, nur flüchtige Triumphe; es will um jeden Preis Effekt machen. Aber wieviele Philosophen findet man im Leben, die imstande sind, einen solchen Vergleich anzustellen? Fast immer ist, um einen gewöhnlichen Ausdruck zu gebrauchen, die Geschichte vorbei, wenn die Leute dahinterkommen.
    Bei diesem jungen Menschen von siebenundzwanzig Jahren stand alles im Einklang mit seinem wahren Charakter; er folgte seiner natürlichen Bestimmung wenn er die Philanthropie pflegte. Theodosius liebte das Volk, und er beschränkte seine Menschenliebe hierauf. Ebenso wie die Blumenpächter sich mit Rosen, Dahlien, Nelken oder Geranien befassen, und keinerlei Interesse an den Blumenarten, die ihre Liebhaberei nicht erwählt hat, nehmen, so gehörte dieser junge la Roche-Foucauld-Liancourt allein den Arbeitern, den Proletariern, den Elenden der Faubourgs Saint-Jacques und Saint-Marceau. Der hervorragende Mann, das Genie in verzweifelter Not, die verschämten Armen des Mittelstandes waren für sein Mitleid nicht vorhanden. Bei allen Leuten mit einer fixen Idee gleicht das Herz einem jener Kästen mit Abteilungen für die einzelnen Sorten Zuckerzeug; das »suum cuique tribuere« ist ihr Wahlspruch, und sie wiegen jeder Pflicht ihre Dosis ab. Es gibt Philanthropen, die nur den Verirrungen Verurteilter ihr Mitleid zuwenden. Die Eitelkeit ist sicherlich die Grundlage der Philanthropie; bei dem Provenzalen aber war es die Berechnung, eine gespielte Rolle, eine liberale und demokratische Heuchelei, die mit einer Vollendung durchgeführt wurde, wie

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