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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sie kein Schauspieler hätte zustande bringen können. Er griff die Reichen nicht an, er begnügte sich damit, sie nicht zu begreifen, aber er duldete sie; nach seiner Ansicht müßte jeder von seiner Arbeit leben; er war, wie er sagte, ein begeisterter Schüler Saint-Simons gewesen, aber diesen Fehler müsse man seiner frühen Jugend zugute halten: die moderne Gesellschaft könne keine andere Grundlage haben als das Erbrecht. Strenggläubiger Katholik, wie fast alle Leute des Comtats, ging er ganz früh zur Messe und verheimlichte seine Frömmigkeit. Wie fast alle Philanthropen war er schmutzig geizig und schenkte den Armen nur seine Zeit, seinen Rat, seine Beredsamkeit und das Geld, das er für sie von den Reichen erlangen konnte. Stiefel und ein Anzug von schwarzem Tuch, den er abtrug, bis die Nähte weiß schimmerten, bildeten seine Kleidung. Die Natur hatte viel für Theodosius getan dadurch, daß sie ihm nicht die männliche, vornehme Schönheit der Südländer verlieh, die bei anderen eingebildete Bedürfnisse erzeugt, die ein Mann nur sehr schwer befriedigen kann. Da es ihn nur wenig kostete, zu gefallen, so wurde er, ganz wie er wollte, für angenehm, für hübsch oder für sehr gewöhnlich angesehen. Seit er im Hause Thuillier zugelassen war, hatte er noch niemals bis zu diesem Abend gewagt, seine Stimme zu erheben und sich mit solcher Autorität zu äußern, wie er es eben gegen Olivier Vinet riskiert hatte; aber wahrscheinlich war es Theodosius de la Peyrade nicht unangenehm gewesen, aus der Dunkelheit, in der er sich bis dahin gehalten hatte, herauszutreten; außerdem war es nötig, sich dieses jungen Beamten zu entledigen, ebenso wie die Minards vorher den Anwalt Godeschal vernichtet hatten. Gleich allen überlegenen Geistern, und es fehlte ihm nicht an Überlegenheit, hatte der Staatsanwaltsgehilfe sich nicht bis zu dem Punkte vorgewagt, wo die Fäden dieser bourgeoisen Spinnennetze deutlich erkennbar werden, aber er war, wie eine Fliege mit dem Kopf voran, in die Falle gegangen, die ihm Theodosius fast unwahrnehmbar mit einer Schlauheit gestellt hatte, die auch gewandtere Leute als Olivier nicht gemerkt haben würden.
    Um die Schilderung dieses Armenadvokaten abzuschließen, wird es nicht überflüssig sein, über sein erstes Auftreten im Hause Thuillier zu berichten.
    Theodosius war gegen Ende des Jahres 1837 erschienen; er war damals seit fünf Jahren Rechtskandidat und hatte seinen Vorbereitungsdienst in Paris absolviert, um Advokat zu werden; unbekannte Umstände, über die er Schweigen bewahrte, hatten ihn verhindert, sich in die Liste der Pariser Advokaten eintragen zu lassen; er war noch Advokat im Vorbereitungsdienst. Sobald er aber die kleine Wohnung im dritten Stock bezogen hatte, mit dem für seinen vornehmen Beruf unbedingt erforderlichen Mobiliar – denn der Advokatenstand läßt keinen neuen Kollegen zu, der nicht ein anständiges Arbeitszimmer und eine Bibliothek besitzt, und zwar wird das nachgeprüft – wurde Theodosius de la Peyrade Advokat beim Pariser Obergericht.
    Über dieser neuen Gestaltung seiner Lage verging das ganze Jahr 1838; er führte ein sehr regelmäßiges Leben, studierte von früh morgens an bis zur Essensstunde und erschien bei wichtigen Sachen vor Gericht. Seine Beziehungen zu Dutocq hatten sich, nach Dutocqs Aussage, nur schwer angeknüpft, und zwar dadurch, daß er einigen Unglücklichen aus dem Faubourg Saint-Jacques, für die der Gerichtsvollzieher sich bei ihm verwendet hatte, den Dienst erwies, ihre Vertretung vor Gericht zu übernehmen; er ließ Anwälte für sie tätig sein, die nach den Statuten der Anwaltschaft umschichtig Armensachen annehmen mußten, und da er nur ganz sichere Sachen übernahm, so gewann er alle Prozesse. Nachdem er so in Beziehungen zu einigen Anwaltsbureaus getreten war, wurde er der Anwaltschaft durch solch ein rühmliches Verhalten bekannt, und aus diesem einiges Aufsehen erregenden Anlaß wurde er zunächst unter die Hilfsadvokaten aufgenommen und dann in das ordentliche Advokatenregister eingetragen. Von da ab war er Armenadvokat beim Friedensgericht und blieb weiter der Beschützer der unteren Klasse. Die Theodosius zu Dank Verpflichteten gaben ihrer Dankbarkeit und ihrer Bewunderung, trotz des Widerspruchs des jungen Advokaten, vor den Portiers Ausdruck, und vieles davon drang bis zu den Ohren der Hausbesitzer. Entzückt darüber, daß bei ihnen ein so rühmenswerter und hilfsbereiter Mann wohnte, wollten die Thuilliers ihn

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