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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gewiß schon beobachtet, aber noch nicht formuliert oder, wenn man will, schriftlich festgehalten worden ist, obgleich sie konstatiert zu werden verdient, ist die Wiederkehr der Gewohnheiten, der Gedanken, der Manieren der früheren Situation bei Leuten, die von der Kinderzeit bis ins Alter aus ihrem ursprünglichem Stande empor gestiegen sind. So war Thuillier innerlich wieder der Portierssohn geworden; er wendete Scherzworte seines Vaters an und ließ schließlich auf der äußeren Oberfläche seines im Abstieg befindlichen Lebens die Spuren seiner Herkunft deutlich werden. Fünf-, sechsmal im Monat pflegte er, wenn die fette Suppe gut war, wie einen ganz neuen Einfall zu äußern, während er seinen Löffel auf den leeren Teller legte: »Das ist besser als ein Fußtritt, selbst wenn man ihn aufs Schienbein bekommt! ...«
    Als er diesen Scherz zum erstenmal hörte, verlor Theodosius, der ihn noch nicht kannte, seinen würdevollen Ernst und lachte so herzlich los, daß Thuillier, der schöne Thuillier, sich in seiner Eitelkeit geschmeichelt fühlte wie nie zuvor. Seitdem begleitete Theodosius diese Redensart immer mit einem kleinen verständnisvollen Lächeln. Dieser kleine Umstand mag erklären, warum Theodosius am Morgen des Tages, an dessen Vorabend er den Disput mit dem jungen Staatsanwaltsgehilfen gehabt hatte, zu Thuillier, mit dem er im Garten nach den Folgen des Frostes sah, sagen könnte:
    »Sie sind viel geistreicher, als Sie glauben!«
    Und er hatte zur Antwort bekommen:
    »In jeder andern Laufbahn, mein lieber Theodosius, hätte ich sehr viel erreicht, aber der Sturz des Kaisers hat mir den Hals gebrochen.«
    »Es ist noch nicht zu spät«, hatte der junge Advokat gesagt. »Was hat denn eigentlich Colleville, dieser Hanswurst, getan, daß er das Kreuz erhalten hat?«
    Damit hatte de la Peyrade einen wunden Punkt berührt, den Thuillier vor allen Augen verbarg, und zwar so, daß selbst seine Schwester nichts davon wußte; aber der junge Mann, in dessen Interesse es lag, das Wesen dieser Bourgeois zu studieren, hatte den heimlichen Neid, der am Herzen des ehemaligen Vizechefs nagte, geahnt.
    »Wenn Sie, der Sie so erfahren sind, mir die Ehre erweisen wollen, meinem Rat zu folgen«, hatte der Philantrop hinzugefügt, »und vor allem niemals mit jemandem von unsrer Abmachung zu sprechen, selbst nicht mit Ihrer vortrefflichen Schwester, wenn ich nicht meine Zustimmung gebe, so verpflichte ich mich, Ihnen den Orden unter dem Beifall des ganzen Viertels zu verschaffen.«
    »Oh, wenn wir das erreichen könnten!« hatte Thuillier ausgerufen; »Sie wissen nicht, was ich dann für Sie tun könnte ...«
    Das mag erklären, weshalb Thuillier sich so in die Brust warf, als Theodosius eben die Kühnheit gehabt hatte, ihm seine Ansicht unterzuschieben.

In der Kunst – und Molière hat wohl die Heuchelei zur Höhe der Kunst erhoben, indem er Tartüff für immer zum Komödiantentypus gemacht hat – gibt es einen Höhepunkt der Vollkommenheit, bis zu dem das Talent nicht heranreicht, sondern allein das Genie. Zwischen den Werken der Genies und denen der Talente besteht nur ein geringer Unterschied, und nur geniale Menschen können diesen Unterschied empfinden, der Raphael von Correggio, Tizian von Rubens trennt. Ja noch mehr: der Durchschnittsmensch läßt sich täuschen. Denn das Zeichen des Genies ist gewissermaßen die Leichtigkeit, mit der das Werk geschaffen zu sein scheint. Es muß, mit einem Wort, auf den ersten Anblick ganz einfach erscheinen, weil es immer ganz natürlich, selbst bei den erhabensten Sujets, ist.
    Viele Bauernweiber halten ihr Kind ebenso wie die berühmte Dresdener Madonna. Nun, bei einem Mann von der Fähigkeit Theodosius' war der Gipfel der Kunst, daß man nachher von ihm sagen mußte: »Jeder wäre darauf hereingefallen!« Er sah also im Salon Thuillier einen Zwist aufkeimen, er verstand Collevilles ziemlich klarsehende Natur und das kritische Wesen des Künstlers, der seinen Beruf verfehlt hat. Der Advokat wußte, daß er Colleville mißfiel, der, infolge von Umständen, die zu berichten überflüssig wäre, Grund hatte, an die Geheimwissenschaft der Anagramme zu glauben. Bei keinem seiner Anagramme hatte er sich getäuscht. Man hatte sich auf dem Amte über ihn mokiert, als er, auf die Frage nach Minards Anagramm, verkündet hatte: »Ich werde ein großes Vermögen zusammenraffen,« und zehn Jahre später hatte sich das Anagramm bestätigt. Theodosius' Anagramm war fatal. Das seiner Frau

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