Die Kleinbürger (German Edition)
sich bereit erkläre, in Anbetracht dessen, daß er England hasse, in Frankreich zu wohnen, würde er sich von ihr heiraten lassen. Die Operation wurde ausgeführt, und zwar mit Erfolg, und nach Verlauf von drei Wochen erfolgte die Ankunft der Neuvermählten in der Hauptstadt. Alle diese Einzelheiten weiß ich von der Kammerfrau der Frau Picot, mit der ich sehr intim bin.«
»Hören Sie diesen eingebildeten Gecken!« sagte Corentin lachend.
»Was ich dem Herrn Polizeidirektor aber noch zu berichten habe, das sind die Ereignisse, von denen ich de visu sprechen kann und die ich infolgedessen zu bezeugen imstande bin. – Kaum hatten Herr und Frau Picot sich vollständig eingerichtet, was in kostbarster und komfortabelster Weise geschah, so übergab mir mein Herr eine Anzahl Dinereinladungen für die Familie Thuillier, die Familie Colleville, die Familie Minard, den Herrn Abbé Gondrin, den Vikar an der Madeleinekirche, kurz für fast alle die Gäste, denen er zufällig einen Monat vorher bei dem Diner der Thuilliers begegnet war, wo er sich so merkwürdig aufgeführt hatte. Alle Personen, die diese Einladung erhielten, waren so erstaunt, zu hören, daß der gute alte Picot reich geheiratet hatte und die alte Wohnung der Thuilliers innehabe, daß sie sämtlich bei Herrn Pascal, dem Portier, vorsprachen, um sich zu vergewissern, daß sie nicht das Opfer eines Scherzes geworden seien. Nachdem sie sich aber überzeugt hatten, daß alles ›wahr und wirklich‹ war, fand sich die ganze Gesellschaft pünktlich ein. Sie wurde von Frau Picot empfangen, die sehr wenig französisch kann und zu allen Erscheinenden sagte: ›Meine Mann kommen gleich‹, worauf sie weiter keine Unterhaltung führen konnte, so daß die Stimmung sehr kühl und unbehaglich wurde. Endlich erschien Herr Picot; man war erstaunt, an Stelle des alten schlecht gekleideten Blinden einen hübschen wohlkonservierten ältern Herrn, der noch jung für seine Jahre aussah, vor sich zu sehen, der in ungezwungenem Tone folgende Anrede hielt:
›Ich bitte um Verzeihung, meine Damen, daß Sie mich nicht schon bei Ihrer Ankunft hier vorgefunden haben, aber ich wollte in der Akademie der Wissenschaften das Resultat einer Wahl abwarten, und zwar der des Herrn Felix Phellion, den Sie ja alle kennen, und der mit allen gegen drei Stimmen gewählt worden ist.‹
Diese Nachricht verfehlte nicht, Eindruck auf die Gesellschaft zu machen.
Dann fuhr Herr Picot fort:
›Ich muß mich auch bei Ihnen entschuldigen, meine Damen, wegen der etwas ungewöhnlichen Art, in der ich mich vor einigen Wochen in diesen selben Räumen, in denen wir heute zusammen sind, benommen habe. Zu meiner Entschuldigung mag meine Krankheit, der mir drohende Prozeß und der Umstand dienen, daß mich eine alte Wirtschafterin, die ich glücklicherweise losgeworden bin, bestahl und in jeder Weise quälte. Heute sehen Sie mich reich und verjüngt durch die Güte der liebenswürdigen Frau, die mir ihre Hand gereicht hat, und ich wäre in der besten Stimmung, Sie würdig zu empfangen, wenn die Erinnerung an meinen jungen Freund, dessen Ruhm die Akademie durch ihre Wahl soeben bestätigt hat, nicht einen trüben Schatten über mein freudiges Empfinden breitete. Wir alle hier‹, fuhr Herr Picot lauter fort, ›müssen uns ihm gegenüber schuldig fühlen; ich, durch meine Undankbarkeit, als er mir den Ruhm seiner Entdeckung und den Preis für seine unsterblichen Arbeiten zuschob, ich, für den er später, als er mich nach England nachzog, der Anlaß für das Glück wurde, das mir noch in meinen alten Tagen in den Schoß fiel; das junge Fräulein dort, das jetzt die Augen voll Tränen hat, weil sie ihn so töricht der Gottlosigkeit beschuldigte; das andere Fräulein mit dem strengen Gesicht, weil sie den würdigen Antrag seines alten Vaters, auf dessen weißes Haar sie mehr Rücksicht hätte nehmen sollen, so schroff zurückwies; Herr Thuillier, weil er ihn seinem Ehrgeiz opferte; Herr Colleville, weil er seine väterliche Pflicht, seiner Tochter den würdigsten und ehrenhaftesten Gatten zuzuführen, nicht erfüllte; Herr Minard, weil er in eifersüchtiger Weise seinen Sohn an seine Stelle bringen wollte. Nur zwei Personen sind hier, Frau Thuillier und der Herr Abbé Gondrin, die ihm Gerechtigkeit widerfahren ließen! Nun, ich frage diesen frommen Mann, ob man nicht zuweilen an der himmlischen Gerechtigkeit zweifeln muß, wenn man einen so edelmütigen jungen Menschen, als das Opfer von uns allen, Wind und
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