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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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würde Ihre Tochter von einem Pair von Frankreich zur Frau verlangt werden. Diese Übertragung geschieht übrigens nur zu meinen Gunsten. Jetzt ziehen Sie sich an und fahren Sie mit mir zu der Gräfin du Bruel, sie kann uns das Kreuz für Thuillier verschaffen. Während Sie sich kampfbereit machen, will ich Celeste ein klein wenig den Hof machen; wir reden dann im Wagen weiter.«
    La Peyrade hatte im Salon Celeste und Felix Phellion gesehen. Flavia konnte zu ihrer Tochter genügend Vertrauen haben, um sie mit dem jungen Professor allein zu lassen. Nach dem großen Erfolge, den ihm der Vormittag gebracht hatte, hielt es Theodosius für nötig, sich jetzt Celeste zuzuwenden. Die Stunde schien ihm gekommen, die beiden Liebenden zu entzweien, und er trug kein Bedenken, bevor er hineinging, sein Ohr an die Tür des Salons zu legen, um zu hören, wie sie das Alphabet der Liebe buchstabierten, und er wurde sozusagen aufgefordert, dieses häusliche Verbrechen zu begehen, da er aus einigen heftigen Äußerungen entnehmen mußte, daß sie sich zankten. Wie einer unsrer Dichter sagt, ist die Liebe das Privileg zweier Wesen, sich gegenseitig viel Kummer um nichts zu bereiten.
    Nachdem sie sich Felix zum Lebensgenossen auserkoren hatte, empfand Celeste das Verlangen, weniger ihn zu prüfen, als sich mit ihm in der Herzensgemeinschaft zu vereinigen, die die Grundlage jeder Zuneigung ist und die bei jugendlichen Gemütern unbeabsichtigt zu einem Ausforschen führt. Der Streit, den Theodosius erhorchte, war durch eine tiefe Meinungsverschiedenheit entstanden, die seit einigen Tagen zwischen dem Mathematiker und Celeste zutage getreten war.
    Dieses Kind, die moralische Frucht der Zeit, in der Frau Colleville ihre Sünden zu bereuen versuchte, besaß eine unerschütterliche Frömmigkeit; sie gehörte zu der Herde der wahrhaft Gläubigen, und der unbedingte Katholizismus, gemäßigt durch Mystizismus, dem junge Gemüter so gern sich hingeben, war bei ihr innerlich zu einer Dichtung geworden, zu einem zweiten Leben. Junge Mädchen, die zuerst so empfunden haben, werden dann später entweder besonders leichtfertig oder Heilige. Aber während dieser schönen Jugendzeit sind sie ein wenig tyrannisch gesinnt; immer schwebt ihnen das Bild der Vollkommenheit vor, und alles soll himmlisch, engelrein oder göttlich sein. Außerhalb dieses ihres Ideals aber existiert nichts für sie; alles andere ist Kot und Schmutz. Diese Denkungsart hat zur Folge, daß echte Brillanten achtlos von jungen Mädchen fortgeworfen werden, die nachher als Frauen Straßdiamanten anbeten.

Celeste hatte also erkannt, daß Felix, wenn auch nicht irreligiös, so doch in bezug auf die Religion indifferent war. Wie die meisten Geographen, Chemiker, Mathematiker und großen Naturforscher, wollte er die Religion der Vernunft unterworfen sehen; und so erblickte er darin ein ebenso unlösbares Problem wie die Quadratur des Zirkels. Deist in petto verhielt er sich zur Religion wie die Mehrzahl der Franzosen und legte ihr keine größere Bedeutung bei als das neue Juligesetz. Im Himmel mußte ein Gott sein, wie eine Büste des Königs auf einem Sockel im Rathause. Felix Phellion, der würdige Sohn seines Vaters, machte keinerlei Hehl aus seiner Überzeugung; er ließ Celeste mit der ganzen Unbekümmertheit und Zerstreutheit eines Problemsuchers in seinem Herzen lesen; das junge Mädchen trennte die religiöse Frage nicht von der weltlichen; sie empfand tiefen Abscheu gegen den Atheismus, und ihr Beichtvater hatte ihr erklärt, daß der Deist ein leibhaftiger Vetter des Atheisten sei.
    »Haben Sie an das gedacht, Felix, was Sie mir versprochen haben?« fragte Celeste, sobald Frau Colleville sie allein gelassen hatte.
    »Nein, meine liebe Celeste«, erwiderte Felix.
    »Oh, Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten!« sagte sie sanft.
    »Das wäre eine Entweihung gewesen«, sagte Felix. »Ich liebe Sie so sehr und mit einer Zärtlichkeit, die Ihren Wünschen gegenüber so schwach ist, daß ich Ihnen etwas versprochen habe, was gegen meine Überzeugung geht. Das Gewissen, Celeste, ist unser Teuerstes, unsre Kraft, unsre Stütze. Warum wollen Sie, daß ich in die Kirche gehe und vor einem Priester niederknie, in dem ich nur einen Menschen sehen kann? ... Sie hätten mich verachten müssen, wenn ich Ihnen gehorcht hätte.«
    »Also Sie wollen nicht in die Kirche gehen, lieber Felix? ...« sagte Celeste und warf ihrem Geliebten einen tränenfeuchten Blick zu. »Also wenn ich Ihre Frau

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