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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wirklich schon als Göttin der Vernunft zu sehen ...«
    »Wovon war denn die Rede?« fragte Theodosius.
    »Von meiner Gleichgültigkeit in Sachen der Religion.«
    »Die schlimme Krankheit unsres Jahrhunderts«, antwortete Theodosius mit ernster Miene.
    »Da bin ich,« sagte Frau Colleville, die sich, geschmackvoll gekleidet, zeigte. »Aber was ist denn meinem armen Kinde? Sie weint ja ...«
    »Sie weint, gnädige Frau?« ... rief Felix, »dann sagen Sie ihr doch, daß ich mich hinsetzen und die ›Imitatio Christi‹ studieren werde.«
    Felix ging mit Theodosius und Flavia hinunter, der der Advokat durch einen Druck des Arms zu verstehen gab, daß er ihr die Aufregung des jungen Gelehrten im Wagen erklären würde.
    Eine Stunde später erschienen Frau Colleville, Celeste, Colleville und Theodosius bei Thuilliers zum Essen. Theodosius und Flavia zogen Thuillier mit sich in den Garten und Theodosius sagte zu ihm:
    »Bester Freund, in acht Tagen wirst du das Kreuz bekommen. Unsre verehrte Freundin hier wird dir über unsern Besuch bei der Gräfin du Bruel berichten ...«
    Und Theodosius verließ Thuillier, da er Desroches erblickte, den Fräulein Thuillier hereingeführt hatte; ein unangenehmes Kältegefühl durchrieselte ihn, als er ihm entgegenging.
    »Lieber Kollege,« sagte Desroches leise zu Theodosius, »ich komme, um mich zu vergewissern, ob Sie sich fünfundzwanzigtausend Franken verschaffen können, außerdem noch zweitausendsechshundertachtzig Franken und sechzig Centimes für die Kosten.«
    »Sie sind Cérizets Anwalt? ...« rief der Advokat aus.
    »Er hat die Wechsel Louchard übergeben, und Sie wissen, was Sie nach einer Verhaftung zu erwarten haben. Hat Cérizet unrecht, wenn er meint, daß Sie fünfundzwanzigtausend Franken in Ihrem Schreibtisch bereithalten? Sie haben sie ihm angeboten, und er findet es ziemlich selbstverständlich, wenn er sie nicht weiter bei Ihnen lassen will ...«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Benachrichtigung, lieber Kollege,« sagte Theodosius, »ich war auf dieses Vorgehen vorbereitet ...«
    »Unter uns gesagt,« antwortete Desroches, »Sie haben ihn hübsch hineingelegt ... Der Kerl wird sich vor nichts scheuen, um sich zu rächen, denn er verliert alles, wenn Sie die Robe wegwerfen und ins Gefängnis gehen wollen ...«
    »Ich?!« rief Theodosius, »ich zahle! ... Aber es sind da noch fünf Akzepte, jedes über fünftausend Franken vorhanden, was gedenkt er damit zu tun?«
    »Oh, nach dem was heute morgen geschehen ist, kann ich Ihnen nichts darüber sagen; mein Klient ist ein schlauer räudiger Hund und hat so seine kleinen Projekte ...«
    »Hören Sie, Desroches,« sagte Theodosius und faßte den steifen dürren Desroches um die Taille, »befinden sich die Wechsel noch bei Ihnen?«
    »Wollen Sie sie einlösen?«
    »Ja, in drei Stunden.«
    »Nun, dann kommen Sie um neun Uhr zu mir, ich werde dann das Geld entgegennehmen und Ihnen die Wechsel aushändigen; aber um einhalb zehn Uhr sind sie schon bei Louchard ...«
    »Schön; also auf heute abend um neun Uhr«, sagte Theodosius.
    »Um neun Uhr«, antwortete Desroches, der die ganze Familie, die jetzt im Garten zusammen war, beobachtet hatte.
    Celeste unterhielt sich mit roten Augen mit ihrer Patin, Colleville und Brigitte, Flavia und Thuillier auf den Stufen der breiten Terrasse, die vom Vorzimmer in den Garten führte. Da sagte Desroches zu Theodosius, der ihn hinausbegleitet hatte: »Sie können Ihre Wechsel bequem einlösen.«
    Mit einem einzigen Blick hatte Desroches den riesigen Einfluß des Advokaten hier erkannt.
    Am andern Morgen begab sich Theodosius bei Tagesanbruch zu dem Bankier der Kleinhändler, um zu sehen, welchen Eindruck die pünktliche Zahlung am Abend vorher auf seinen Feind gemacht hatte, und um noch einen Versuch zu machen, sich von dieser Bremse zu befreien.
    Er fand Cérizet, wie er stehend mit einer Frau verhandelte und erhielt von ihm einen befehlenden Wink, in einem Abstande stehen zu bleiben und die Unterhaltung nicht zu stören. Der Advokat mußte sich daher Gedanken über die Bedeutung dieser Frau machen, eine Bedeutung, von der das nachdenkliche Aussehen des Wucherers Zeugnis ablegte. Theodosius hatte das, im übrigen nur unbestimmte Empfinden, daß der Gegenstand dieser Konferenz auf Cérizets Verhalten von Einfluß sein müsse, denn er bemerkte auf seinem Gesichte einen vollständigen Wechsel des Ausdrucks, der nur auf einer hoffnungsvollen Aussicht beruhen konnte.
    »Aber, liebste Mutter Cardinal

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