Die Kleinbürger (German Edition)
wäre, würden Sie mich allein dahin gehen lassen? ... Dann lieben Sie mich nicht so, wie ich Sie liebe! ... Bis jetzt habe ich gegen einen Atheisten immer das Entgegengesetzte dessen, was Gott von mir fordert, empfunden!«
»Ein Atheist?!« rief Felix Phellion aus. »O nein! Hören Sie mich an, Celeste. Gewiß gibt es einen Gott, und ich glaube an ihn, aber ich habe von ihm einen anderen und höheren Begriff als Ihre Priester; ich ziehe ihn nicht zu mir herab, sondern ich versuche, mich zu ihm zu erheben ... Ich vernehme seine Stimme in meinem Herzen, es ist das, was ehrenhafte Menschen das Gewissen nennen, und ich sorge dafür, daß die göttlichen Strahlen, die zu mir dringen, nicht verdunkelt werden. Niemals werde ich irgend jemandem Schaden zufügen, niemals werde ich gegen die Vorschriften der für alle gültigen Moral verstoßen, die die Moral des Konfuzius, des Moses, Pythagoras, Sokrates ebenso war wie die Jesu Christi ... Ich kann erhobenen Hauptes zu Gott aufblicken; meine Handlungen sollen meine Gebete sein; niemals werde ich eine Lüge sagen, mein Wort wird mir heilig sein, und niemals werde ich etwas Niedriges oder Unwürdiges tun ... Das sind die Lehren, die mir mein ehrenhafter Vater eingeprägt hat, und die will ich auch meinen Kindern hinterlassen. Und ich werde alles Gute, was mir möglich ist, tun, selbst wenn ich darunter leiden sollte. Was können Sie von einem Mann mehr verlangen?«
Dieses Glaubensbekenntnis Phellions ließ Celeste traurig den Kopf schütteln.
»Lesen Sie aufmerksam die ›Imitatio Christi‹! sagte sie ... »Versuchen Sie nur, sich zur heiligen katholischen apostolischen römischen Kirche zu bekehren, dann werden Sie erkennen, wie töricht Ihre Worte sind ... Hören Sie, Felix: die Ehe ist für die heilige Kirche nicht eine weltliche Angelegenheit, nicht eine Erfüllung unserer Wünsche; sie wird für die Ewigkeit geschlossen ... Wie! Wir sollen Tag und Nacht vereint, wir sollen ein Geist und ein Fleisch sein, und sollen zwei verschiedene Sprachen reden, zwei verschiedene Religionen und damit den Anlaß zu ewigen Zwistigkeiten haben? Ich würde verdammt sein, meinen Jammer über Ihren Seelenzustand vor Ihnen zu verbergen; ich könnte nicht zu Gott beten, denn ich würde unaufhörlich seine drohende Rechte gegen Sie erhoben sehen! ... Ihr Deistenblut und Ihre Anschauungen sollten sich auf meine Kinder übertragen! ... Oh, mein Gott, was für ein Unglück wäre das für eine Gattin! ... Nein, so etwas könnte ich nicht ertragen ... O Felix! Bekennen Sie sich zu meinem Glauben, zu dem Ihrigen kann ich mich nicht bekennen! Reißen Sie keinen Abgrund zwischen uns auf. Wenn Sie mich liebten, würden Sie sich schon die ›Imitatio Christi‹ vorgenommen haben ...«
Die Phellions, in den Anschauungen des »Constitutionnel« groß geworden, liebten die Geistlichkeit nicht. Felix war so unklug, auf diese Worte, die wie ein Gebet aus der Tiefe einer glühenden Seele emporgestiegen waren, zu antworten:
»Sie wiederholen ja nur eine Lektion Ihres Beichtvaters, Celeste, und nichts ist für das Glück verhängnisvoller, das können Sie mir glauben, als wenn sich der Priester in häusliche Angelegenheiten einmischt ...«
»Oh,« rief Celeste, die nur der Eingebung ihrer Liebe gefolgt war, entrüstet, »Sie lieben nicht! ... Die Stimme meines Herzens dringt nicht bis zu Ihnen! Sie haben mich nicht begriffen, denn Sie haben mir nicht aufmerksam zugehört; ich verzeihe Ihnen aber, denn Sie wissen nicht, was Sie sagen.«
Sie hüllte sich in majestätisches Schweigen, und Felix trat ans Fenster und trommelte mit den Fingern auf der Scheibe: Die Hausmusik aller derer, die sich peinigenden Empfindungen hingeben. Felix mußte sich in der Tat die besonderen, empfindlichen Gewissensfragen der Phellions vorlegen:
›Celeste ist eine reiche Erbin, und wenn ich ihren Anschauungen, gegen die Stimme meines natürlichen religiösen Empfindens, nachgebe, dann habe ich Aussicht auf eine vorteilhafte Heirat: das wäre eine niedrige Handlung. Als Familienvater darf ich nicht zulassen, daß die Pfaffen auch nur den geringsten Einfluß in meinem Hause ausüben; gebe ich heute nach, so ist das ein Akt der Schwäche, dem viele andere, gleichermaßen für die Autorität des Vaters und Gatten verderbliche, folgen werden. All das ist eines Philosophen unwürdig.‹
Er ging wieder zu seiner Geliebten.
»Celeste, ich flehe Sie auf den Knien an, mengen wir nicht durcheinander, was das Gesetz in seiner Weisheit
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