Die Kleinbürger (German Edition)
getrennt hat. Wir leben für zwei Welten, für die menschliche Gesellschaft und für den Himmel. Den Weg zu seinem Heil mag jeder selbst wandeln; was aber die menschliche Gesellschaft anlangt, gehorcht man nicht auch dem Willen Gottes, wenn man ihre Gesetze beachtet? Christus hat gesagt: ›Man gebe dem Kaiser, was des Kaisers ist.‹ Der Kaiser, das ist hier die weltliche Gesellschaft ... Aber lassen wir doch diesen kleinen Streit vergessen sein! ...«
»Einen kleinen Streit!?« rief die junge Enthusiastin aus. »Ich will, daß Sie mein Herz und ich das Ihrige besitze, und Sie wollen zwei Teile daraus machen ... Gäbe das nicht ein Unglück? Sie scheinen zu vergessen, daß die Ehe ein Sakrament ist ...«
»Das Pfaffengesindel hat Ihnen den Kopf verdreht!« rief der Mathematiker ungeduldig.
»Herr Phellion,« unterbrach ihn Celeste hastig, »genug hiervon!«
Bei diesen Worten hielt es Theodosius für richtig, einzutreten; er fand Celeste bleich und den jungen Professor in dem beunruhigten Zustande eines Liebenden vor, der seine Geliebte geärgert hat.
»Ich habe hier das Wort ›genug‹ gehört! ... Was war denn zu viel?« ... fragte er und sah abwechselnd Celeste und Felix an.
»Wir sprachen über Religion ...« antwortete Felix, »und ich erklärte dem Fräulein, wie unheilvoll geistlicher Einfluß auf das Familienleben wirkt ...«
»Darum handelte es sich nicht,« sagte Celeste bitter, »sondern darum, zu wissen, ob Mann und Frau ein Herz und eine Seele sein können, wenn der eine ein Atheist und die andere eine gläubige Katholikin ist.«
»Gibt es denn Atheisten? ...« rief Theodosius aus mit den Anzeichen äußersten Erstaunens ... »Kann denn eine Katholikin einen Protestanten heiraten? Aber es gibt doch für Ehegatten nur ein Heil, wenn in religiösen Dingen bei ihnen vollkommene Übereinstimmung herrscht! ... Ich, der ich in Wahrheit aus dem Comtat stamme und einer Familie angehöre, die unter ihren Vorfahren einen Papst aufweisen kann, denn unser Wappen hat die ›Schlösser mit silbernem Schlüssel‹ und darunter einen Mönch, der eine Kirche in der Hand trägt, einen Pilger mit goldenem Stabe und der Devise ›Ich öffne und schließe‹, ich bin um deswillen von fanatischer Strenggläubigkeit. Aber heutzutage scheint es, dank dem modernen Erziehungssystems, nichts Ungewöhnliches zu sein, über solche Fragen zu streiten! ... Ich würde, wie ich sagte, eine Protestantin nicht heiraten, und wenn sie Millionen besäße ..., und wenn ich sie rasend liebte! Über den Glauben darf man nicht diskutieren. Una fides unus dominus, das ist mein Wahlspruch.«
»Da hören Sie's!« rief Celeste triumphierend und sah Felix Phellion an.
»Ich bin kein Frömmler,« fuhr la Peyrade fort; »ich gehe frühmorgens um sechs Uhr zur Messe, wenn ich nicht gesehen werde; ich genieße Fastenessen am Freitag; ich bin aber ein Sohn der Kirche und würde nichts Wichtiges unternehmen, ohne vorher gebetet zu haben, wie unsre Väter taten.
Ich prunke nicht mit meiner Religiosität ... Bei der Revolution von 1789 hat sich in meiner Familie etwas ereignet, das uns noch enger als schon die Vergangenheit mit unsrer heiligen Mutter, der Kirche, verknüpft hat. Ein armes Fräulein de la Peyrade von der älteren Linie, der die kleine Herrschaft la Peyrade gehört, denn was uns anlangt, wir gehören zu den Peyrade des Canquoëlle, aber die beiden Linien beerben einander, – also dieses Fräulein heiratete sechs Jahre vor der Revolution einen Advokaten, der, wie es in der damaligen Zeit lag, Voltaireaner war, das heißt ein Ungläubiger, ein Deist, wenn Sie wollen. Er verfocht die revolutionären Ideen und unter ihren andern Torheiten besonders den bekannten Kultus der Göttin Vernunft. Er kam zu uns als ein fanatischer Anhänger des Konvents. Da seine Frau sehr schön war, zwang er sie, die Rolle der Freiheitsgöttin zu übernehmen, und danach ist die arme Unglückliche wahnsinnig geworden ... Sie ist dann im Wahnsinn gestorben! Nun, bei den heutigen Anschauungen können wir ein zweites 1793 erleben.«
Diese beliebig erfundene Geschichte machte einen so starken Eindruck auf die jugendlich frische Einbildungskraft Celestes, daß sie sich erhob, den beiden jungen Leuten zunickte und sich in ihr Zimmer zurückzog.
»Ach, was haben Sie da gesagt!« ... rief Felix aus, schmerzlich berührt von dem kalten Blicke, den Celeste ihm zugeworfen und in den sie den Ausdruck vollkommener Gleichgültigkeit gelegt hatte. »Sie glaubt sich ja
Weitere Kostenlose Bücher