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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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...«
    »Jawohl, bester Herr ...«
    »Was wollen Sie?«
    »Man muß sich entschließen ...«
    Diese ersten und letzten Worte von Sätzen waren die einzigen Anhaltspunkte, die die lebhafte, leise von Mund zu Ohr geführte Unterhaltung dem unbeweglich dastehenden Zeugen gewährte, dessen Aufmerksamkeit auf Frau Cardinal gerichtet war.
    Frau Cardinal war eine der Hauptkundinnen Cérizets; sie handelte mit Seefischen. Wenn auch die Pariser diese eigentümlichen Gewächse ihres heimatlichen Bodens kennen, so haben Fremde doch keine Ahnung von ihrer Existenz, und die Mutter Cardinal war wohl im technischen Sinne der Aufmerksamkeit wert, die sie bei dem Advokaten erregt hatte. Auf der Straße begegnet man solchen Frauen, auf die der Spaziergänger nicht mehr acht gibt als auf die dreitausend Bilder einer Ausstellung. Aber hier, bei dieser Gelegenheit, hatte die Cardinal die volle Bedeutung eines einzeln aufgehängten Meisterwerks, denn sie war der vollendete Typ ihrer Gattung.
    Sie stand da auf schmutzigen Pantoffeln, aber ihre Füße steckten in Socken und waren noch mit starken, dicken, tuchenen Strümpfen geschützt. Ihr Rock aus Kattun, mit einem Saum von Kot garniert, zeigte den Einschnitt des Gurtes, an dem sie ihren Korb trug, der rückwärts ihre Taille ziemlich weit nach unten abzeichnete. Ihr Hauptbekleidungsstück war ein Schal, ein sogenannter »Hasenfellkaschmir«, dessen beide Enden über ihrer »Turnüre« zusammengebunden waren, denn man muß hier diesen Ausdruck der Mode anwenden, um das Zusammendrücken der Röcke durch den Quergurt, durch den sie sich wie ein Kohlkopf aufbauschten, zu kennzeichnen. Das Fichu aus grobem Baumwollenstoff ließ einen roten Hals sehen, der gefurcht war wie das Bassin von la Villette, wenn es von Schlittschuhläufern befahren wird. Ihr Kopfputz bestand aus einem gelbseidenen, ziemlich pittoresk herumgewickelten Schal.
    Kurz und dick wie sie war, sah man der roten Gesichtsfarbe der Mutter Cardinal an, daß sie morgens einen kleinen Schnaps zu trinken pflegte. Sie war einmal schön gewesen. In der Markthalle warf man ihr in der dort üblichen kühnen Ausdrucksweise vor, daß sie mehr als einmal die Nacht zum Tage gemacht hatte. Wenn sie eine normale Unterhaltung führen wollte, mußte sie ihr Organ dämpfen, wie man es in einem Krankenzimmer tut; aber auch dann noch erklang es stark und voll aus ihrer Kehle, die gewohnt war, bis zu den Mansarden hinauf ihre Fische zu jeder Jahreszeit auszurufen. Ihre Nase à la Roxelane, ihr ziemlich hübsch gezeichneter Mund, ihre blauen Augen, alles, was einst ihre Schönheit ausmachte, war jetzt tief in Fett vergraben und zeigte, daß sie sich dauernd im Freien aufhielt. Leib und Busen besaßen die Üppigkeit Rubensscher Gestalten.
    »Wollen Sie, daß ich auf dem Strohsack liege? ...« sagte sie zu Cérizet. »Was gehen mich die Toupilliers an! ... Bin ich nicht auch eine Toupillier? ... Wo wollen Sie denn, daß ich die Toupilliers hintue? ...«
    Dieser laute Ausbruch wurde von Cérizet unterbrochen, der der Händlerin ein langgedehntes »Pst!« zurief, dem alle seine Helfershelfer zu gehorchen pflegten.
    »Also gehen Sie, und sehen Sie, wie es damit steht, und dann kommen Sie wieder«, sagte er und schob die Frau nach der Tür zu, indem er ihr noch einige Worte zuflüsterte.
    »Nun, lieber Freund,« sagte Theodosius zu Cérizet, »hast du dein Geld?«
    »Jawohl«, antwortete Cérizet; »wir haben unsre Krallen aneinander gemessen, sie sind von gleicher Härte, gleicher Länge und gleicher Kraft ... und weiter? ...«
    »Soll ich Dutocq sagen, daß du gestern fünfundzwanzigtausend Franken empfangen hast?«
    »Oh, lieber Freund, kein Wort ... wenn du mich liebst!« rief Cérizet.
    »Höre,« fuhr Theodosius fort, »ich muß ein- für allemal wissen, was du willst. Ich habe die feste Absicht, auch nicht vierundzwanzig Stunden länger auf dem Rost zu braten, auf den ihr mich gelegt habt; wenn du Dutocq hineinlegen willst, so ist mir das vollkommen gleichgültig; aber ich wünsche, daß wir beide miteinander ins reine kommen ... Fünfundzwanzigtausend Franken, das bedeutet ein Vermögen, außerdem mußt du noch zehntausend Franken besitzen, die du bei deinem Geschäft verdient hast; damit kannst du wieder ein anständiger Mensch werden. Wenn du mich in Ruhe lassen willst, Cérizet, wenn du mich nicht hindern willst, Fräulein Colleville zu heiraten, dann werde ich so etwas wie Staatsanwalt in Paris werden; und du könntest nichts Besseres tun, als

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