Die Kleinbürger (German Edition)
denen der Bettler seinen Ofen heizte, rauchgeschwärzt. Auf dem Kamin standen ein schadhafter Wasserkrug, zwei Flaschen und ein abgestoßener Teller. Eine schlechte wurmstichige Kommode enthielt seine Wäsche und seine sauberen Kleidungsstücke; das Mobiliar bestand aus einem Nachttisch billigster Sorte, einem Tisch für vierzig Sous und zwei Küchenstühlen, bei denen das Strohgeflecht fast ganz fehlte. Das pittoreske Bettlerkostüm des Hundertjährigen, das an einem Nagel hing, die darunter stehenden unförmigen Bastschuhe, sein Zauberstab und sein Hut bildeten eine Art Waffenarsenal eines Bettlers.
Beim Eintreten warf Cérizet einen schnellen Blick auf den Alten. Sein Kopf lag auf einem von Schmutz braunem Kopfkissen ohne Überzug, und sein eckiges Profil, ähnlich einem solchen, wie es die Kupferstecher des vorigen Jahrhunderts scherzhaft auf ihren Landschaften drohenden Felspartien gaben, hob sich scharf von den grünen Vorhängen ab. Toupillier, ein Mann von fast sechs Fuß Größe, stierte auf einen eingebildeten Gegenstand am Fuße des Bettes; er rührte sich nicht, als er die schwere Tür, die mit Eisen beschlagen und mit einem starken Schloß versehen war und seine Wohnung sicher beschützte, gehen hörte.
»Ist er bei Bewußtsein?« fragte Cérizet, vor dem die Cardinal zurückgewichen war, und den sie erst an der Stimme erkannte.
»So ziemlich«, antwortete sie.
»Kommen Sie auf die Treppe hinaus, damit er uns nicht hört. Wir wollen folgendermaßen vorgehen«, fuhr er leise, zu seiner zukünftigen Schwiegermutter gewendet, fort. »Er ist schwach, aber er sieht nicht schlecht aus, wir haben noch gut acht Tage vor uns. Im übrigen will ich einen Arzt holen, der uns paßt. Einen der nächsten Abende werde ich sechs Mohnköpfe mitbringen. In dem Zustande, in dem er sich, wie Sie sehen, befindet, wird ihn der Mohnextrakt in tiefen Schlaf versetzen. Ich werde ein Gurtbett herschicken, damit Sie, wie wir sagen werden, nachts bei ihm bleiben können. Wenn er dann schläft, tragen wir ihn aus dem grünen in das Gurtbett, und wenn wir das Geld, das in dem kostbaren Möbel versteckt ist, erst gefunden haben, dann werden wir auch Mittel und Wege finden, um es wegzuschaffen. Der Arzt wird uns sagen, ob er noch einige Tage zu leben hat und vor allem, ob er imstande ist, ein Testament zu machen.«
»Ach, Sie geliebter Sohn!«
»Aber wir müssen wissen, wer die Bewohner dieser Baracke sind; die Perraches könnten Lärm schlagen, und so viele Mieter, so viele Spione.«
»Oh, ich weiß schon,« antwortete Frau Cardinal, »daß Herr du Portail, der Mieter des ersten Stocks, ein kleiner alter Herr ist, der eine Irrsinnige pflegt, die ich heute morgen von einer alten Holländerin, namens Katt, Lydia rufen hörte. Der Alte hat nur einen Diener, auch ein alter Mann, der Bruno heißt, und, abgesehen von der Küche, alles macht.«
»Aber dieser Buchhefter und dieser Buchbinder,« entgegnete Cérizet, »da wird von früh an gearbeitet. Nun, wir müssen weiter sehen«, fuhr er fort, wie Einer, der noch keinen bestimmten Plan hat. »Ich werde jedenfalls aufs Rathaus Ihres Bezirks gehen, um Olympias Geburtsattest zu besorgen und das Aufgebot zu bestellen. Nächsten Sonnabend in acht Tagen ist die Hochzeit!«
»Wie das alles bei diesem Kerl geht!« sagte die Cardinal und stieß ihrem gefährlichen Schwiegersohn mit der Schulter in die Seite.
Als er hinabging, sah Cérizet zu seinem Erstaunen, wie der kleine Alte, dieser du Portail, im Garten mit einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Regierung, dem Grafen Martial de la Roche-Hugon, auf und ab ging. Im Hofe blieb er stehen und sah sich das alte unter Ludwig XIV. gebaute Haus genau an, dessen gelbe Mauern, obschon aus Hausteinen, sich wie Toupillier ihrem Ende zuneigten; er blickte in die beiden Werkstätten hinein und stellte die Anzahl der Arbeiter fest. Das Haus war still wie ein Kloster. Da er selbst beobachtet wurde, so entfernte sich Cérizet und überlegte alle Schwierigkeiten, die das Herausholen der Geldsumme aus dem Versteck des Sterbenden, wenn sie auch keinen sehr großen Raum einnahm, darbot.
»Soll man sie nachts wegbringen?« fragte er sich; »da passen die Portiersleute auf, und am Tage können Einen zwanzig Personen sehen ... Es ist ziemlich schwer, fünfundzwanzigtausend Franken in Gold bei sich zu tragen.«
Die menschliche Gesellschaft hat zwei Ideale der Vollkommenheit: das erste ist der Zustand einer Zivilisation, wo das allen innewohnende
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