Die kleine Hexe
Allerletzter gekommen war, stellte er sich auf die Zehenspitzen und formte die Hände zu einem Trichter. „Hallo!", schrie er über die Köpfe der Leute weg, „ hörst du mich, Blumenmädchen? Hiiier ist der Billige Jakob! Heb mir unbedingt ein paar Blumen auf! Eine einzige wenigstens! Hörst du mich? Wenigstens eine einzige!"
„Nein, keine Extrawürste! Auch für den Billigen Jakob nicht!", riefen die Leute, die vorn bei dem Mädchen standen. „Verkauf die Blumen der Reihe nach!" Ein Glück, dass wir vorne dran sind, dachten sie. Lang kann der Vorrat nicht reichen und alle, die später gekommen sind, werden das Nachsehen haben, - Das Mädchen verkaufte, verkaufte, verkaufte. Aber die Blumen im Körbchen gingen nicht aus. Sie reichten für alle Leute, die kaufen wollten -sogar für den Billigen Jakob.
„Wie kommt es nur, dass die Blumen nicht alle werden? ", fragten die Menschen verwundert und steckten die Köpfe zusammen. Aber das wusste das Blumenmädchen ja selbst nicht. Das hätte ihm höchstens die kleine Hexe erklären können. Die aber hatte sich längst mit Abraxas davongeschlichen. Schon lagen die Häuser der Stadt hinter ihnen. Bald mussten sie an dem Kornfeld sein, wo der Besen versteckt lag.
Die kleine Hexe war in Gedanken noch mit dem Blumenmädchen beschäftigt. Sie schmunzelte vor sich hin. Da stieß sie der Rabe leicht mit dem Schnabel an und zeigte ihr eine schwarze Wolke, die eilig am Himmel davonzog. Das wäre nicht weiter verdächtig gewesen, wenn nicht ein Besenstiel aus der Wolke herausgeragt hätte.
„Sieh da!", rief Abraxas, „die Muhme Rumpumpel! Das alte Scheusal hat dir wohl nachspioniert?"
„Die bringt alles fertig!", brummte die kleine Hexe.
„Na, wennschon!", sagte der Rabe. „Vor der hast du nichts zu verbergen - und das, was du heute getan hast, am allerwenigsten!"
Eine saitige Lehre
Ein paar Tage lang hatte es ununterbrochen geregnet. Da war auch der kleinen Hexe nichts anderes übrig geblieben, als brav in der Stube zu hocken und gähnend auf besseres Wetter zu warten. Zum Zeitvertreib hatte sie hin und wieder ein wenig herumgehext, hatte das Nudelholz mit dem Schürhaken auf der Herdplatte Walzer tanzen, die Kehrschaufel Purzelbaum schlagen, das Butterfass Kopf stehen lassen. Aber das alles war nicht das Rechte gewesen, es machte ihr bald keinen Spaß mehr.
Als draußen endlich wieder die Sonne schien, hielt es die kleine Hexe nicht länger im Hexenhaus, „Auf!", rief sie unternehmungslustig, „nichts wie zum Schornstein hinaus! Ich muss nachsehen, ob es nicht irgendwo etwas zu hexen gibt!"
„Ja, etwas Gutes vor allem!", mahnte Abraxas.
Gemeinsam ritten sie über den Wald und hinaus auf die Wiesen. Dort standen noch überall Wasserpfützen. Die Feldwege waren verschlammt und die Bauersleute wateten bis zu den Knöcheln im Dreck.
Auch die Landstraße hatte der Regen aufgeweicht. Eben kam von der Stadt her ein Fuhrwerk gefahren. Es war mit zwei Pferden bespannt und beladen mit
Bierfässern. Auf der schlechten Straße kam es nur langsam vom Fleck. Den Pferden tropfte der Schaum von den Mäulern. Sie mühten sich redlich ab mit dem schweren Wagen.
Dem Bierkutscher aber, der breitspurig auf dem Bock saß, ging es nicht schnell genug. „Hü!", schrie er, „wollt ihr wohl ziehen, ihr Biester!"
Und er schlug mit der Peitsche erbarmungslos auf die Pferde ein - immer wieder und wieder.
„Das ist ja zum Dreinhacken!", krächzte Abraxas empört. „Dieser Grobian! Drischt auf die Pferde los wie ein Prügelmeister! Kann man das ruhig mit ansehen?"
„Tröste dich", sagte die kleine Hexe, „er wird es sich abgewöhnen."
Sie folgten dem Fuhrwerk, bis es im nächsten Dorf vor der Wirtschaft „Zum Löwenbräu" anhielt, Der Bierkutscher lud ein paar Fässer ab. Er rollte sie über den Hof in den Keller und ging dann zum Wirt in die Gaststube, wo er sich etwas zu essen bestellte, Die dampfenden Pferde ließ er angeschirrt vor dem Wagen stehen. Nicht einmal eine Handvoll Heu oder Hafer bekamen sie.
Die kleine Hexe wartete hinter dem Schuppen ab, bis der Kutscher im Gasthaus verschwunden war. Dann huschte sie rasch zu den beiden Gäulen und
fragte sie in der Pferdesprache: „Treibt er es immer so arg mit euch?"
„Immer", gestanden die Pferde. „Aber du müsstest ihn erst einmal sehen, wenn er betrunken ist oder in
Wut kommt. Dann drischt er sogar mit dem Peitschenstiel auf uns los. Sieh dir die Striemen auf unserer Haut an, dann weißt du Bescheid."
„Der
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