Die kleine Hexe
Bursche verdient einen Denkzettel!", sagte die kleine Hexe. „Es ist eine Schande, wie er euch zurichtet! - Wollt ihr mir helfen, wenn ich's ihm heimzahle?"
„ Gut - was verlangst du von uns?"
„Dass ihr euch nicht von der Stelle rührt, wenn er aufsteigt und abfahren will. Keinen Huf breit!"
„Oh, das ist viel verlangt!", wandten die Pferde ein. „Du wirst sehen, er prügelt uns grün und blau dafür!"
„Ich verspreche euch", sagte die kleine Hexe, „dass euch kein Leid geschieht."
Sie trat an den Wagen und griff nach der Peitsche. Dann knüpfte sie einen Knoten ins untere Ende der Peitschenschnur, Das war alles. Nun konnte sie seelenruhig hinter den Schuppen zurückkehren, konnte sich dort auf die Lauer legen und abwarten, wie es dem Kutscher ergehen würde.
Der Bierkutscher trat eine Weile danach aus dem Wirtshaus. Er hatte gegessen, er hatte getrunken. Laut und vergnügt vor sich hin pfeifend kam er herangeschlendert.
Er stieg auf den Kutschbock, ergriff mit der Linken die Zügel und langte sich mit der Rechten nach alter Gewohnheit die Peitsche her.
„Hü!", rief er, schnalzte mit der Zunge und wollte davonfahren.
Als nun die Pferde nicht anzogen, wurde er ärgerlich. „Wartet, ihr faulen Böcke, euch helfe ich!", schimpfte er los - und schon holte er weit mit der Peitsche aus.
Aber der Hieb ging daneben! Die Peitschenschnur schwippte zurück und der Schlag traf nicht etwa die Pferde: Er klatschte dem Kutscher selbst um die Ohren!
„Verdammt noch mal!", fluchte der, holte erneut mit der Peitsche aus und schlug abermals zu - doch auch diesmal erging es ihm keineswegs besser.
Jetzt packte den Kutscher die blinde Wut. Er sprang auf. Wie ein Rasender schwang er die Peitsche und drosch auf die Pferde ein, Aber jedes Mal trafen die Hiebe ihn selbst, Sie trafen ihn auf den Hals, ins Gesicht, auf die Finger, die Arme, den Leib und das Hinterteil.
„Donner und Doria!", brüllte er schließlich, „so geht das nicht!" Er erwischte die Peitsche am oberen Ende und hieb voller Zorn mit dem Stiel zu.
Das tat er nur ein Mal.
Der Peitschenstiel traf ihn so hart an die Nase, dass ihm das Blut aus den Nasenlöchern hervorschoss. Der Bierkutscher stieß einen lauten Schrei aus. Die Peitsche entfiel seinen Händen, es wurde ihm schwarz vor den Augen, er musste sich festhalten.
Als er nach einiger Zeit wieder halbwegs zu sich kam, stand neben dem Fuhrwerk die kleine Hexe. Sie drohte ihm: „Wenn du noch einmal die Peitsche nimmst, geht es dir wieder so! Schreib dir das hinter die Ohren! Jetzt kannst du von mir aus davonfahren. Hü!"
Auf ihr Zeichen hin zogen die Pferde gehorsam an. Das Sattelpferd wieherte: „Danke schön!", und das Handpferd warf freudeschnaubend den Kopf hoch.
Der Bierkutscher saß auf dem Bock wie ein Häuflein Unglück. Er schwor sich bei seiner geschwollenen Nase: „Ich werde mein Leben lang keine Peitsche mehr anrühren!"
Freitagsgäste
Der Freitag ist für die Hexen das, was für andere Leute der Sonntag ist. Wie diese am Sonntag nicht arbeiten dürfen, so dürfen die Hexen am Freitag nicht hexen. Wenn sie es dennoch tun und dabei erwischt werden, müssen sie Strafe zahlen.
Die kleine Hexe hielt sich besonders gewissenhaft an die Freitagsruhe. Sie wollte auf keinen Fall in Versuchung kommen. Am Donnerstagabend schloss sie den Besen weg und sperrte das Hexenbuch in den Tischkasten. Sicher ist sicher.
Den Freitagmorgen verschlief sie gewöhnlich. Sie konnte j a mit dem Vormittag ohnehin nicht viel anf an-
gen, wenn sie nicht hexen durfte. Nach Tisch ging sie meist eine Weile spazieren oder sie setzte sich hinter den Backofen in den Schatten und faulenzte. „Wenn es nach mir ginge", raunzte sie manchmal, „dann brauchte nur alle sechs Wochen ein Freitag zu sein. Das würde mir auch genügen!"
Es war eines Freitags im Spätsommer. Wiederum hockte die kleine Hexe hinter dem Backofen und langweilte sich. Viel lieber hätte sie hexen wollen. An keinem anderen Tag der Woche verspürte sie solche Lust dazu.
Auf einmal hörte sie Schritte. Dann klopfte es an die Haustür. „Ja, ja", rief die kleine Hexe, „ich komme schon!"
Sie sprang neugierig auf und lief nachschauen, wer da geklopft habe.
Vor dem Hexenhaus standen zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen. Die hielten sich bei den Händen gefasst und als sie die kleine Hexe herankommen sahen, sagten sie: „Guten Tag!"
„Guten Tag!", rief die kleine Hexe. „Was wollt ihr?"
„Wir wollten dich nach dem Weg in die Stadt
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