Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Arzt?
Im Haus gehen Lichter an. Ein untersetzter Mann, aber noch jung, Mitte Dreißig, im Schlafrock, öffnet.
Ich bin Arzt. Gestatten, Dottore Carlo Sbragia. Wundarzt.
Kommen Sie! Bitte! Puccini liegt unter dem Automobil.
Moment mal! Puccini? Automobil? Puccini! Der Puccini?
Die Stimme des Arztes wechselt ins Falsett. Seine Frau läuft derweil mit einer Pfanne und einer Schöpfkelle durch die Straße, trommelt Leute, Hilfskräfte, aus den umliegenden Häusern herbei.
An der Unfallstelle, vielmehr nicht weit davon entfernt, hält Elvira Giacomos Kopf. Mit ihrem Hutband hat sie ihm das Bein abgebunden, keine ganz üble Idee. Es ist kalt, und Giacomo glaubt, der Tod kröche in Form von feuchter Kälte durch seine Knochen. Elvira hingegen glaubt, er sei an den Benzindämpfen beinahe erstickt, später wird sie der Presse genau das erzählen und behaupten, sie habe ihn unter dem Automobil mit aller Kraftanstrengung hervorziehen müssen.
Giacomo kann sich an Details nicht erinnern. Kurz aus der Bewußtlosigkeit erwachend, lallt er: Cori! An und für sich sieht er ein, daß er Elvira schlecht darum bitten kann, Cori an sein Totenbett zu rufen, also entscheidet er sich dafür, wieder in Ohnmacht zu fallen. Es gelingt nicht, er denkt nach, welchem lebenden Komponisten man eventuell anvertrauen könne, das Fragment der Butterfly zu komplettieren. Eher niemandem. Zu vieles fehlt. Und was vorhanden ist, ist unausgegoren, schade. Che Cazzo! So ein blöder, alberner Tod. Er beginnt zu weinen, weniger über das eigene Schicksal als das der Butterfly . Wie sehr hatte er darauf gehofft, zwischen zwei Opern zu sterben. Der Himmel , sagt er grimmig, muß voller Arschgeigen hängen . (ANM. 4)
Elvira hingegen hofft, daß dies nicht seine letzten Worte bleiben werden, wie soll sie das der Nachwelt übermitteln? Sie registriert, was sie da eben für eine Sekunde lang gedacht hat, während sie doch schreit und schluchzt – das habe ich tatsächlich gedacht, denkt sie sich.
Und schreit und schluchzt noch mehr.
Dottore Sbragia trifft ein, mitsamt etlichen herbeialarmierten, aus ihren Betten gebrüllten Feldarbeitern. Seine Frau, Maria, reicht Decken herum.
Puccini wird auf der einzigen zur Verfügung stehenden Bahre, eigentlich einer sonst nur landwirtschaftlich genutzten Trage , ins Haus geschleppt. Guido Barsuglia muß warten, er tröstet sich mit dem Stumpen von Puccinis fallengelassener Zigarre, das wird schon in Ordnung gehen. Elvira schreit ihn noch an, wie er es wagen könne, bei all den Benzindämpfen zu rauchen, er winkt ab, ihm ist soeben alles egal geworden.
Im Haus angelangt, legen die Helfer den größten im Moment so gerade noch lebenden Komponisten Italiens auf den Küchentisch. Petroleumlampen werden entzündet. Sbragia besieht sich den Schaden und meint: Oje!
Elvira bekommt einen erneuten Heulkrampf, nicht ahnend, daß Dottore Carlo Sbragia immer, aus purer Gewohnheit, erst einmal Oje sagt. Seine Diagnose klingt dagegen zuversichtlich, ja beinahe banal.
Beinbruch und Quetschungen. Platzwunde an der Stirn. Leichter Blutverlust. Ich geb ihm eine Spritze gegen die Schmerzen. Das ist was ganz Neues, aus England, so ähnlich wie Morphium, nur besser. Dann schläft er erst mal. Sie sind natürlich alle meine Gäste heute nacht! Es ist mir, darf ich sagen, eine Ehre!
Zwei von den Dienstboten verständigte Gendarmen betreten das Haus, um den Unfallhergang zu Protokoll zu nehmen und sich wichtig zu machen. Ihre Hoffnung, mit Puccini zusammen fotografiert zu werden, erfüllt sich leider nicht, keine Kamera ist aufzutreiben, die Lichtverhältnisse wären denkbar ungünstig.
Wird er sterben , fragt Tonio, aufgrund der schnellen Hilfe halb erleichtert, halb enttäuscht, dabei doch beides nicht, aber irgendwie doch.
Wenn keine völlig unvorhergesehen Komplikationen auftreten … nein. Nein, wohl kaum. Wir legen ihn in mein Bett. Mehr ist nicht zu tun. Er soll in meinem Bett schlafen. Wer hätte das gedacht? Der große Puccini schläft in meinem Bett! Das Leben, ach, schreibt doch verrückte Geschichten. Oje. Jetzt soll man den Chauffeur holen.
Elvira ist immer noch hysterisch. Wedelt mit den Armen, schreit, sie lasse ihren geliebten Topico auf keinen Fall allein, jetzt nicht und niemals.
Sbragia findet, auch die Signora habe eine Spritze nötig. Es sehe schwer danach aus, als habe sie einen Schock. Dagegen helfe Schlaf. Tiefer Schlaf. Sie solle einen Arm freimachen.
Das Heroin-Laudanum-Derivat wirkt sehr rasch. Binnen
Weitere Kostenlose Bücher