Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
einer Viertelstunde ist sie kaum wiederzuerkennen.
12
Am nächsten Morgen wird der noch benebelte Giacomo kilometerweit über brache Felder in einer Sänfte getragen, dann, in einem motorbetriebenen Fährboot, über den Massaciuccoli-See zu seiner Villa geschippert. Etliche Reporter sind anwesend, manche brechen in Tränen aus, als Puccini ihnen vom Boot aus lasch, mit sonderbar verklärtem Gesichtsausdruck zuwinkt, als gelte es Abschied zu nehmen für immer. Elvira gewährt den Kameras ein eigentlich unpassendes Grinsen. Tonio nimmt den kürzeren Landweg per Pferdekutsche. Zeitungen in ganz Europa heben den mirakulösen Umstand hervor, daß ein in der Nähe wohnender Wundarzt das Leben des Maestro gerade so noch einmal retten konnte. Sbragia schildert den Reportern mehrfach, wie er den Patienten nach langem Kampf zurück ins Leben geholt habe.
Guido Barsuglia verbringt die nächsten drei Wochen im Krankenhaus, fühlt sich danach geheilt, aber, wenn auch sublim und unausgesprochen, verachtet. Er wird nie mehr recht Fuß fassen in Torre und beschließt, in Amerika ein neues Leben zu beginnen.
Elvira läuft den Sänftenträgern voran, fühlt sich gebraucht, agiert wie in Trance, befiehlt dem Personal, die Villa zu schmücken für die Ankunft des maladen Hausherrn. Der Postbote tritt mittags durch die offenstehende Tür und bringt Dutzende Telegramme mit Genesungswünschen; sogar eines von der Königin ist dabei. Plötzlich, während er jedes einzelne der Telegramme schamlos vorliest, bevor er sie aushändigt, verfinstert sich das Gesicht des Beamten.
Was ist denn? Nun lesen Sie doch!
Hier ist auch eines an Signora Bonturi-Gemigniani.
Herr Jesus, an mich?
Er reicht ihr das Telegramm, ein schlichtes Blatt ohne Kuvert.
Ja? Lesen Sie schon vor! Um Himmels willen!
Das ist eine schlimme Nachricht, stammelt der Postbote.
Was? Lesen Sie vor! Lesen Sie schon!
Ihr Mann ist soeben gestorben.
Elvira öffnet weit den Mund zu einem Schrei. Wie kann das sein?
Heute morgen. Das Herz.
Elvira schließt ihren Mund. Heute morgen? Wieso? Was?
Narciso Gemignani. Ihr Gatte, wohnhaft in Lucca. Verstorben heute morgen, im sechsundvierzigsten Lebensjahr, an einem Herzschlag. So steht es hier.
Wie bitte? Narciso? Narciso ist tot? Heute? Sie denkt nach, ihr schwirrt der Kopf, sie möchte anmutig in Ohnmacht fallen, es gelingt ihr nur nicht. Sie ist noch nie in Ohnmacht gefallen, anscheinend können das nur feine Damen, die solcherlei von früh an üben.
Der Postbote hofft umsonst auf Trinkgeld, bevor er sich mit einer genuschelten Beileidsbekundung fortschleicht.
Elvira muß sich setzen.
Ein Wink Gottes. Ein Zeichen, ein großes Zeichen, wie es kräftiger gar nicht hätte ausfallen können. Das wird selbst Topico einsehen müssen, der wenig religiöse Mensch.
Gott hat ihm noch einmal das Leben geschenkt. Und heiraten können wir jetzt auch.
13
Das Krankenzimmer, mit Blick auf den See, strahlt hell, erfüllt von Licht und Blumen. Hier ist, anders als im Erdgeschoß, nichts bunt ausgemalt. Decke, Wände und sogar der große Kleiderschrank sind in Weiß gehalten, was zur trauertragenden Elvira den stärkstmöglichen Kontrast ergibt.
Giacomo beschwert sich über all den duftenden Pflanzenkram. Das Zeug nehme ihm die Luft!
Elvira meint zwinkernd, daß sie nichts dafür könne. Bukette und Gestecke stammten ja nicht von ihr.
Hauptsächlich von deinen Verehrerinnen. Beklag dich bei denen! Briefe kommen, aus aller Welt. Da sieht man, wo du überall gewesen bist. Und wohin du mich nicht mitgenommen hast! Sie sagt es mit spitzem Humor, gleichsam tänzelnd, ohne Bitter- oder Boshaftigkeit. Seit dem Unfall wirkt sie komplett verwandelt.
Du genießt es, daß ich hier liegen muß!
Unsinn. Bei dir zu sein. Ja. Das genieße ich. Ich dachte, die Blumen heitern dich auf. Wenn du willst, laß ich sie gleich nach unten bringen. Hör zu, ich muß für zwei Tage weg, nach Lucca, auf Narcisos Begräbnis. Ich werde mich kaum unter die Trauergesellschaft mischen können, das nicht, das würde man mir nicht erlauben, die Bagage hasst mich, aber hinterher will ich eine Blume auf sein Grab legen, das erfordert der pure Anstand. Fosca will natürlich auch ihrem Vater die letzte Ehre geben. Oder hast du etwas dagegen?
Was soll ich denn dagegen haben?
Das dachte ich mir. Nitteti kommt, freundlicherweise, wird sich einige Tage lang um dich kümmern. Aber vielleicht werden wir noch jemanden einstellen müssen. Angiolina hat gekündigt, um zu
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