Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
sie eine der alten Hymnen des Club de Bohème an, Qui siam’? Siamo poeti! Che cosa facciamo? Bibiamo!
Puccini schweigt. Ihm kommt dieses schmissig verbindungshafte Getue peinlich vor. Er hat irgendwann gelernt, die Rolle eines würdevollen Künstlers zu spielen, stets gut angezogen, mit Stil und Grandezza. Elvira hat diese Entwicklung leider nicht mitgemacht. Jetzt ein kleines Hotel am Meer, mit einem Klavier, einem Tisch, einem Bett, Cori darin, das wäre das Glück, pures Glück, warum kann ich, der bestbezahlte Künstler Italiens, mir das eigentlich nicht leisten? Wo es an sich ja allzuviel gar nicht wäre …
Guido legt den ersten Gang ein. Er ist kein gelernter Chauffeur, nur der Sohn jenes Vinzenzo Barsuglia, der Puccini ein erstes Zimmerchen in Torre del Lago vermietet hat, als der noch bettelarm, am Anfang seiner Kräfte gewesen war.
Es ist zwanzig Minuten vor Mitternacht, Regen setzt ein, und die Heimfahrt wird eine knappe Stunde dauern, wenn es keinen Nebel gibt. Leider gibt es Nebel, gottlob nicht allzu dichten. Die Straße nach Torre del Lago wird nur spärlich vom Mondschein beleuchtet und keine drei Meter weit durch die schwache Lichtmaschine des nach einem Jahr schon veralteten Clément.
Schneller, Guido! Ah, ich bin glücklich! Meine Oper ist gerettet. Eigentlich wars ganz einfach: Geschwindigkeit! Verdichtung durch Geschwindigkeit. Nicht die Stringenz zählt, nur die Situation . Wie in der Erinnerung einmal vom Leben nur Situationen bleiben, Momente! Wie Perlen gereiht auf einer Kette. Der Rosenkranz der Momente!
Nicht so schnell, ruft Elvira von hinten, dabei fährt Guido Barsuglia wirklich nicht schnell und fühlt sich durch die ständige Maßregelung langsam, aber sicher in seiner Ehre gekränkt.
Was dann genau geschieht, ist unklar. In einer scharfen Kurve hüpft irgendetwas über die Straße, vielleicht ein Reh, vielleicht nur ein Schatten, der vorgibt, etwas zu sein. Puccini ist gerade damit beschäftigt, sich eine Zigarre anzustecken, das Streichholz entgleitet ihm vor Schreck. Guido will das Reh, den Schatten, was auch immer, umfahren, reißt den Steuerknüppel zu weit nach links. Fünfzig Jahre später gibt er zu, ein Reh, oder was immer, nur erfunden zu haben, ihm seien für einen Moment die Augen zugefallen, der Begriff Sekundenschlaf steht noch nicht im Wörterbuch. Hinten schreit Elvira, der Wagen schert aus der Bahn, rutscht über den Abhang, stürzt fünf Meter tief hinab in ein Feld, überschlägt sich entgegen manch dramatisierenden Darstellungen aber nicht, bleibt immerhin auf der Seite liegen, die Achse ist gebrochen, die Personen auf den Vordersitzen, Guido Barsuglia und Giacomo, werden gegen die Armaturen und aus dem Wagen geschleudert. Barsuglia bricht sich den linken Oberschenkel, Jack das rechte Schienbein, der Rest sind Kratzer und Prellungen. Tonio und Elvira kommen mit dem Schrecken davon. Der Wagen hingegen scheint im Eimer zu sein, es ist Nacht, Nebel liegt auf dem Acker. Die Männer können beide nicht laufen, es bleibt nichts übrig, als Tonio loszuschikken, der Hilfe holen soll. Tonio läuft los. Obschon er sich fürchtet vor dem Dunkel, vor den gespensterhaften Nebelschlieren, klettert er den Abhang hinauf. Betet zu Gott um ein Lichtlein, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wirklich, von der Straße aus ist eine Art Gehöft zu erkennen, ziemlich nahe sogar, atemlos schlägt Tonio gegen die Pforte.
Ich werde Papa retten, denkt er in diesem Moment, stolz wird er auf mich sein, ich rette ihm das Leben. Tatsächlich ist sein Vater gerade ohnmächtig geworden, der Blutverlust ist nicht lebensbedrohlich, eigentlich wiegt der Anblick mehr als die Menge. Für eine Ohnmacht in jedem Fall ausreichend. Elvira faselt etwas davon, daß der Wagen explodieren werde, und schleift ihren Lebensgefährten an den Schulterstücken durchs Feld, was dieser mit schnappendem Ächzen und Stöhnen kommentiert.
Barsuglia ist bei Bewußtsein, kann sich aber kaum bewegen, immerhin hält er die Wahrscheinlichkeit einer Explosion für eher gering und gönnt sich zwischen zwei Schreien einen Schluck aus dem Flachmann. Noch unter Schock stehend, versucht er sich zu erklären, wie geschehen konnte, was geschehen ist.
Tonio hat Glück. Ein seltsamer Zufall – das Haus, gegen dessen Pforte er schlägt, gehört einem, der weiß, was zu tun ist.
Wer ist da? ruft eine energische Frauenstimme.
Ich bin Antonio Puccini. Wir hatten einen Unfall. Mein Vater stirbt! Ist hier in der Nähe ein
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