Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Oberarm, spricht ihn, als wäre nie etwas vorgefallen, mit seinem moderateren Spitznamen an.
Pin, ich habe heute eine Idee gehabt!
Giacosa brummt erleichtert, streicht sich den Bart, streicht sich den gewaltigen Bauch, tut aber so, als habe sein Brummen nur einer bevorstehenden, vorausgeahnten Zumutung gegolten.
Das ist ja nichts Außergewöhnliches. Du sagst es allerdings so, daß ich mich jetzt schon fürchte!
Und doch – ein Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. Der Versöhnung steht nun kaum noch etwas im Weg.
Puccini, Giacosa, Vandini und Caselli ziehen sich ins Hintere des Raumes zurück, entnehmen dem Humidor brasilianische Zigarren. Maestro Guido Vandini, der am Luccheser Teatro del Giglio als künstlerischer Direktor arbeitet, nutzt beherzt die ihm gegönnten fünf Minuten, versucht Puccini zu überreden, vor Ort die Zweitaufführung der Butterfly leiten zu dürfen, erfolglos. Lucca, mit seiner doch eher zweitklassigen Sängerriege, muß warten, bis das Stück ein paar Jahre an den großen Häusern gelaufen ist.
Vorne beginnt eine mühsame Themensuche. Nach den üblichen Krankheitsbildern aus der weiteren Verwandtschaft einigt man sich auf Spekulationen zur Hutmode der kommenden Saison. Sagenhaft, wieviel es darüber zu debattieren gibt. Tonio wird in den Garten geschickt, wo es eine verwitterte, windschiefe Kegelbahn mit Kerzenbeleuchtung gibt. Alleine zu kegeln, wenn man nach jedem Wurf die gefallenen Kegel selbst wieder aufstellen muß, ist keine dauerhafte Unterhaltung an einem kühlen Abend. Zu Tonios Glück steigen bald Barsuglia, der Chauffeur, und einer von Casellis Bediensteten in das Spiel ein. Lieber allerdings würde Tonio im Wohnzimmer sitzen und ein Buch über Mechanik lesen, aber das würde als unziemlich, provokant eigenbrötlerisch gelten.
Der Vater liebt ihn nicht sonderlich, weil er aus der langen Familientradition gefallen scheint und keinerlei Talent zur Musik zeigt.
Als er dem Fünfjährigen die erste Geige geschenkt hat, so eine Anekdote, verzog sich der kleine Tonio damit, baute einen Mast und Segel und ließ die Geige im nächsten Teich als Piratenschiff schwimmen. Eigentlich eine Phantasie verheißende Anekdote. Viele Jahre später wird Giacomo sie anders erzählen, wird behaupten, Tonio habe ihm auf der Geige vorgespielt, er selbst habe dessen nicht existentes Talent lächelnd eingesehen und die Geige zum Segelschiff umfunktioniert. Es entspricht seiner Gewohnheit, den Dingen nachträglich einen ihm gewogeneren Rahmen zu verleihen, selbst wo er niemals ein Musikinstrument, das teuer Geld gekostet hat, zu Wasser lassen würde.
Wahr ist allerdings, daß Tonio sich krampfhaft weigert, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und auf Vögel zu schießen. Aber diese Geschichte kann man wirklich niemandem erzählen, beim besten Willen nicht, nicht mal angedeutet. Jeder vernünftige Mensch würde denken, sein Sohn habe am anderen Ufer geparkt.
Pin, hör zu! Ich weiß jetzt, was falsch ist. Ja.
Lieber Gott, Giacomo, erspar mir das!
Ich bin nicht Gott, du kommst nicht in die Hölle. Wenn es nach mir geht. Du mußt den ehemaligen dritten Akt umschreiben.
Was?
Wir lagen völlig richtig mit unserer Entscheidung: die Szene auf dem Konsulat mußte raus. Zwei lange Akte! Das war die Lösung. Der Vorhang durfte nicht fallen.
Pin sieht ihn an, mit offenem Mund. Unsere Entscheidung war das? Das klingt, ja wie denn? Dreist! Will er die Vergangenheit fälschen, oder glaubt er, mir helfen zu müssen, damit ich mein Gesicht bewahre? Die Streichung der zweiten Pause hat er mir aufgedrängt, hat sie gegen meinen Willen durchgesetzt, Illica flennt jetzt noch, ich bin schließlich auch ein Künstler, warum werden bei Opern immer nur die Komponisten genannt, als sei das Libretto zweitrangig bis völlig egal? Gerade Jack sollte inzwischen begriffen haben, wie wichtig ein gutes Textbuch ist.
Jack sieht ihn treuherzig an. Der nun so lange zweite Akt sei zu lang.
Das ist die ganze Idee ?
Es sei, bekräftigt Jack, eine umwerfende Idee. Verkürzung, Verdichtung, quasi Poesie.
Vorne, wo die Frauen sitzen, am Kamin, wird nur noch in Alibisätzen (Elvira, wollen wir nicht mal zusammen einkaufen in Mailand? Gerne!) gesprochen, ansonsten der Debatte gelauscht.
Nur über meine Leiche! Die zweite Hälfte ist jetzt schon so dicht, was soll man da bitte noch weglassen?
Pin! Lieber Pin, du großer, noch am runzligen Euter der griechischen Musen genährter Dichter! Ich will die Leute erschüttern. Aber nicht
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