Die Kleptomanin
überzeugt.«
Hercule Poirot schwieg für einen Augenblick.
Sollte er sich wirklich mit den Schwierigkeiten von Miss Lemons Schwester befassen und sich in die Sorgen und Leidenschaften eines multikulturellen Studentenwohnheims einmischen? Andererseits war es lästig, wenn Miss Lemon Fehler beim Tippen seiner Briefe machte. Er versuchte sich einzureden, dass nur das der Grund für sein Interesse an dieser Angelegenheit sei. Er war nicht bereit, sich einzugestehen, dass er in letzter Zeit etwas gelangweilt war, und dass ihn darüber hinaus auch die pure Trivialität dieser Angelegenheit reizte.
›»Die Petersilie, die an einem heißen Tag in die Butter sinkt‹«, murmelte er.
»Petersilie? Butter?«, Miss Lemon sah ihn verblüfft an.
»Ein Zitat von einem Ihrer Klassiker«, sagte er. »Sie sind doch sicher vertraut mit den Abenteuern – um nicht zu sagen Heldentaten von Sherlock Holmes?«
»Sie meinen diese Baker-Street-Vereinigung und all dieses Zeug?«, sagte Miss Lemon. »Dass erwachsene Männer sich mit so albernen Dingen befassen können! Aber das ist typisch Mann! Genau wie das Spielen mit elektrischen Eisenbahnen. – Ich will nicht behaupten, ich hätte nie die Zeit gehabt, solche Geschichten zu lesen. Aber wenn ich Zeit zum Lesen habe, was selten genug der Fall ist, dann bevorzuge ich etwas Lehrreiches.«
Hercule Poirot neigte würdevoll sein Haupt.
»Wie wäre es, Miss Lemon, wenn Sie Ihre Schwester einmal einladen würden – zum Tee vielleicht? Es könnte sein, dass ich ihr helfen kann.«
»Vielen Dank, Monsieur Poirot, das ist wirklich sehr nett von Ihnen. – Meine Schwester hat nachmittags immer frei.«
»Dann lassen Sie sie uns für morgen einladen.«
Gesagt, getan. Und der getreue George wurde angewiesen, einen Imbiss vorzubereiten aus quadratischen, gebutterten Crumpets, symmetrischen Sandwiches und anderen leckeren Bestandteilen eines üppigen englischen Nachmittagstees.
Zweites Kapitel
M rs Hubbard war ihrer Schwester sehr ähnlich. Ihre Haut hatte einen gelblicheren Teint, sie hatte eine rundere Figur, war aufwendiger frisiert und weniger brüsk im Umgang, aber aus ihrem runden und liebenswerten Gesicht leuchteten dieselben scharf blickenden Augen, die einen durch Miss Lemons Kneifer anblickten.
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Monsieur Poirot«, sagte sie. »Sehr nett. Und solch ein köstlicher Tee noch dazu. Ich habe sicher viel mehr gegessen, als ich sollte – na gut, vielleicht noch ein Sandwich – Tee? Ja, bitte, noch eine halbe Tasse.«
»Zuerst kommen die leiblichen Genüsse«, sagte Poirot. »Dann das Geschäftliche.«
Er lächelte sie auf liebenswürdige Weise an und zwirbelte seinen Schnurrbart, und Mrs Hubbard sagte: »Wissen Sie, Sie sind genau so, wie ich Sie mir nach Felicitys Beschreibung vorgestellt habe.«
Nach einem Moment der Überraschung, in dem ihm bewusst wurde, dass Felicity der Vorname der gestrengen Miss Lemon sein musste, antwortete Poirot, dass er bei Miss Lemons Tüchtigkeit auch nichts anderes erwartet hätte.
»Allerdings«, sagte Mrs Hubbard abwesend, während sie ein zweites Sandwich nahm, »hat sich Felicity nie viel Gedanken um andere Menschen gemacht. Im Gegensatz zu mir. Deshalb bin ich ja so besorgt.«
»Könnten Sie mir genau erklären, was Sie beunruhigt?«
»Ja, das kann ich. Ich könnte es ja verstehen, wenn Geld wegkommen würde, kleine Beträge hier und da. Und wenn es Schmuck wäre, dann wäre das auch in Ordnung – ich meine nicht in Ordnung, ganz im Gegenteil –, aber es würde irgendwie passen, zu Kleptomanie oder Unehrlichkeit. Aber ich denke, es ist am besten, wenn ich Ihnen einfach eine Liste der Dinge vorlese, die abhanden gekommen sind; ich habe alles aufgeschrieben.«
Mrs Hubbard öffnete ihre Tasche und entnahm ihr ein kleines Notizbuch.
Abendschuh (einer von einem neuen Paar)
Armband (Modeschmuck)
Diamantring (wiedergefunden in Suppenteller)
Puderdose
Lippenstift
Stethoskop
Ohrringe
Feuerzeug
alte Flanellhose
Glühbirnen
Pralinenschachtel
Seidenschal (wiedergefunden, in Stücke geschnitten)
Rucksack (ebenso)
Borax-Pulver
Badesalz
Kochbuch
Hercule Poirot atmete tief ein. »Bemerkenswert«, sagte er, »und in gewisser Weise – faszinierend.«
Er war hingerissen. Er blickte von Miss Lemons ernster, missbilligender Miene zu dem netten, besorgten Gesicht von Mrs Hubbard.
»Ich beglückwünsche Sie«, sagte er warm zu der Letzteren.
Sie sah ihn überrascht an. »Aber warum, Monsieur
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