Die Kleptomanin
Gründen angenommen, sondern weil Sie dadurch in Kontakt mit menschlichen Problemen kommen. Sicher wird es Studenten geben, die Sie gern mögen, und solche, die Sie weniger gern oder vielleicht sogar gar nicht mögen. Das werden Sie mir alles erzählen – ja, das werden Sie mir erzählen! Denn Sie machen sich Sorgen – nicht so sehr wegen der Dinge, die passiert sind – damit könnten Sie ja zur Polizei gehen…«
»Ich kann Ihnen versichern, dass Mrs Nicoletis nicht begeistert wäre, wenn die Polizei ins Haus käme.«
Poirot fuhr fort, ungeachtet der Unterbrechung. »Nein, sie machen sich Sorgen über jemanden – jemanden von dem Sie denken, dass er für die Ereignisse verantwortlich ist, oder dass er zumindest in irgendeiner Weise damit zu tun hat. Also jemanden, den Sie mögen.«
»Also wirklich, Monsieur Poirot.«
»Ja, wirklich. Und ich glaube, dass Sie zu Recht besorgt sind. Denn der Seidenschal, der in Stücke geschnitten worden ist, das ist übel. Und der zerschnittene Rucksack ist auch übel. Die anderen Sachen mögen kindisch erscheinen – und dennoch – ich weiß nicht. Ich wäre da nicht so sicher!«
Drittes Kapitel
N achdem sie die Stufen hinaufgeeilt war, steckte Mrs Hubbard den Schlüssel in die Haustür zur Hickory Road 26. Gerade als sich die Tür öffnete, kam ein großer junger Mann mit feuerrotem Haar hinter ihr die Stufen heraufgerannt.
»Hallo, Ma«, sagte er; das war Len Batesons übliche Art, sie zu begrüßen. Er war ein netter Kerl mit einem Cockney-Akzent und Gott sei Dank ohne jeden Minderwertigkeitskomplex.
»Na, wo haben Sie sich denn rumgetrieben?«
»Ich war zum Tee, Mr Bateson. Jetzt halten Sie mich bitte nicht auf, ich bin spät dran.«
»Und ich habe heute wieder eine hübsche Leiche aufgeschnitten«, sagte Len. »Toll!«
»Das ist ungehörig von Ihnen, so zu reden. ›Eine hübsche Leiche‹, wie kann man nur! Allein die Vorstellung. Mir wird ganz schlecht, wenn ich Sie so reden höre.«
Len Bateson lachte, dass das Echo laut aus dem Flur zurückschallte. »Das ist jedenfalls nichts für Celia«, sagte er. »Ich hab sie in der Apotheke besucht. ›Ich bin gekommen, um dir von meiner Leiche zu erzählen‹, hab ich gesagt. Sie ist bleich geworden wie ein Bettlaken, sodass ich schon dachte, sie würde glatt ohnmächtig werden. Wie finden Sie das, Mutter Hubbard?«
»Das wundert mich gar nicht«, sagte Mrs Hubbard. »Allein die Vorstellung! Celia hat vermutlich geglaubt, Sie reden von einer echten Leiche.«
»Was soll das heißen – echte Leiche? Was glauben Sie denn, was unsere Leichen sind? Aus Kunststoff vielleicht?«
Ein dünner junger Mann mit langen ungekämmten Haaren kam aus einem Raum zur Rechten und sagte in überheblichem Ton: »Ach, du bist es nur. Ich dachte, es wäre mindestens eine Horde starker Männer, die hier Krach macht. Du hast zwar nur eine Stimme, aber die reicht für zehn Mann.«
»Ich hoffe, das nervt dich nicht.«
»Nicht mehr als üblich.« Nigel Chapman zog sich in sein Zimmer zurück.
»Unser Mimöschen«, sagte Len.
»Nun streitet euch doch nicht«, sagte Mrs Hubbard. »Gute Laune, das hab ich gern, ein bisschen leben und leben lassen.«
Der große junge Mann grinste liebevoll auf sie herab. »Unser Nigel stört mich nicht, Ma«, sagte er.
»Ach, Mrs Hubbard, Mrs Nicoletis ist in ihrem Zimmer und hat gesagt, sie möchte Sie sehen, sobald Sie zurück sind.«
Mrs Hubbard seufzte und ging die Treppe hinauf. Das große dunkelhaarige Mädchen, das ihr die Nachricht überbracht hatte, lehnte gegen die Wand und ließ sie passieren.
Len Bateson, der im Begriff war, seinen Regenmantel auszuziehen, sagte: »Was gibt’s, Valerie? Irgendwelche Beschwerden über unser Betragen, die Mutter Hubbard an uns weiterleiten soll?«
Das Mädchen zuckte mit den schmalen, eleganten Schultern, kam die Treppe herunter und ging durch den Flur. »Dieses Haus wird von Tag zu Tag mehr zum Irrenhaus«, sagte sie über die Schulter.
Noch im Sprechen verschwand sie durch die Tür zu ihrer Rechten. Sie bewegte sich dabei mit der mühelosen Grazie eines professionellen Mannequins.
Hickory Road 26 bestand eigentlich aus zwei Doppelhaushälften, Nummer 24 und 26. Im Erdgeschoss war eine Verbindung geschaffen worden. Dort gab es einen Gemeinschaftsraum und ein großes Esszimmer, sowie zwei Toiletten und ein kleines Büro im hinteren Teil des Hauses. Zwei getrennte Treppen führten zu den getrennten oberen Stockwerken. Die Mädchen wohnten auf der
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