Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
seines Glanzes mein Gleichgewicht zurückerobern und aufrechterhalten wollte.
Such die Erinnerung … da. Ich hatte sie. Damals war ich noch sehr jung gewesen und durch einen Tempel des Herrschers des Himmels gewandelt. Möglicherweise noch bevor ich Namara anvertraut wurde. Es war ein Mitternachtsgottesdienst während der Winterrunde. Zur Ehrung der Sonnenwende war der Tempel mit Fackeln beleuchtet, nicht mit den helleren, gleichmäßiger brennenden Magierlampen, die während der meisten Gottesdienste zum Einsatz kamen.
Die Galerie, über die man zum inneren Heiligtum kam, wurde von Statuen der Götter und Göttinnen des himmlischen Hofes gesäumt, die beinahe so schön und hochmütig aussahen wie der Durkoth, der mich gerade jetzt anstarrte. In dem flackernden Fackelschein war es, als würden die gemeißelten Gottheiten bei jedem Blinzeln die Position verändern. Ich erwischte nie eine von ihnen dabei, sich zu bewegen, aber jedes Mal, wenn ich hinschaute, hatte ich das Gefühl, dass sich seit dem letzten Mal etwas verändert hatte.
Das war eine meiner frühesten Erinnerungen. Eine, die in den Albträumen der Kindheit fortgelebt hatte, und eine, die Qethar durch seine bloße Existenz widerspiegelte. Statuen sollten ihre Haltung nicht verändern. Statt also zu sehen, wie Qethar sich bewegte, registrierte mein Gehirn nur eine Reihe minimal veränderter und scheinbar unzusammenhängender Posen, und jede vermittelte den Eindruck, der Durkoth hätte von jeher diese Haltung eingenommen. Das war in sich schon zutiefst unheimlich, aber hinter meiner Reaktion steckte mehr, wenn ich nur herausfinden könnte, was.
Ehe ich der Sache auf die Spur kommen konnte, richtete Qethar das Wort an mich: »Ich nehme an, du hast mich nicht nur gerufen, um mich anzustarren, Klinge. Was willst du von mir?«
Ich stand immer noch arg neben mir, aber das konnte ich nicht einfach so stehen lassen. »Ich glaube, Ihr verwechselt mich. Ich bin keine Klinge.« Ich drehte mich so, dass das Licht aus den Fenstern auf mein Gesicht fiel. »Aber ich wurde von einer geschickt.«
Qethars Gesicht veränderte sich nicht, trotzdem kam es mir vor, als würde er die Stirn runzeln. »Wie töricht bist du, Klinge? Ich habe dem Kiesel gesagt, er möge nur für dich brechen. Niemand anderes hätte mich herrufen können. Und selbst wenn das möglich gewesen wäre, dein Shekat lügt nicht. Ich sehe, dass du der Mensch bist, mit dem ich in jener anderen Nacht auf der Straße gerungen habe. Der, der hernach als der Königsmörder identifiziert wurde.«
»Mein was?« Das Wort »Shekat« hatte ich bis dahin noch nie gehört.
»Dein Seelenfeuer, Mensch. Dein Nima.«
»Ihr könnt Nima sehen?« Dass die Durkoth zu so etwas fähig waren, war mir auch neu.
Qethar wirkte ernsthaft überrascht. »Natürlich, und weitaus klarer als den vergänglichen Körper aus Fleisch, in dem es residiert. In der tiefen Finsternis unter den Bergen ist die Essenz einer Sache unendlich viel mehr wert als ihr potentielles Aussehen in dem Licht von Sonne und Himmel. Dein Shekat ist bemerkenswert stark für ein so kurzlebiges Wesen wie dich, vielleicht, weil der Schatten, der in deinem Schatten lebt, deine Lebenslinie verstärkt hat, indem er sie mit seiner eigenen verknüpfte.«
Und damit hatte ich das letzte Puzzlestück, um meine Reaktion auf Qethar zu verstehen. Es lag an seiner Seele oder dem scheinbaren Fehlen einer solchen. Zu meinen stärksten und am meisten geschätzten Erinnerungen zählt die an den Tag, an dem meine Göttin mich zur Klinge gemacht hatte.
Namara ist … sie war die Seele der Gerechtigkeit. War . Das ist so ein einfaches Wort und doch so traurig – jedes Mal, wenn ich mir wieder bewusst machen musste, dass sie fort war, war es wie ein Stich ins Herz. Verschließ das, Aral, konzentriere dich auf den Durkoth und auf das, was du im Hinblick auf ihn zu tun hast.
Namara hatte sich auf dieser Ebene als Idol aus Granit manifestiert, versunken im heiligen Teich des Tempels. Wenn sie neue Klingen schuf, kam sie an die Oberfläche, um die Anwärter zu prüfen und ihnen, wenn sie sie für wert befand, ihre Schwerter zu überreichen. Wie der Durkoth schien sie sich nie zu regen, und doch veränderte sich ihre Haltung. Aber da gab es einen unglaublich wichtigen Unterschied.
Die Göttin hatte sich nicht angefühlt wie eine Statue. Die Statue, die die Göttin war, hatte eine Seele. Nein, sie hatte sogar die mächtigste aller Seelen. Befand man sich in ihrer
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