Die Klinge
den See überquerte, schaute sie auf den leeren Sitz jenseits des Ganges. Die Lichter von Lugano hatten jede Faszination für sie verloren. Tweed konnte sie bestens verstehen. In diesem Augenblick ging die Verbindungstür zum ersten Wagen auf, und Marienetta kam herein. Newman bedeutete ihr mit einem Kopfschütteln, dass sie Paula jetzt lieber nicht stören solle. Marienetta nickte verständnisvoll, lächelte kurz und ging wieder.
»Ich frage mich wirklich, wer mich auf dieses Gleis gestoßen haben könnte«, sagte Paula plötzlich.
»Da kommt eigentlich nur eine begrenzte Anzahl von Personen infrage«, meinte Newman. »Wollen Sie etwas zu Abend essen, wenn wir zurück im Hotel sind?«
»Nein. Ich lasse mir zwei Flaschen Mineralwasser geben und lege mich sofort ins Bett.«
»Ganz wie Mylady wünschen.«
»Tut mir Leid, wenn ich vorhin so unkommunikativ war, aber jetzt ist mir wieder nach Reden zumute.«
»Gut, dann können Sie mir ja noch einmal erzählen, wo genau Sie den Block aus unserem Hotel gefunden haben, den mit den Wörtern Chiasso und Airolo darauf«, sagte Tweed von seinem Sitz auf der anderen Seite des Ganges aus.
»Er lag auf dem Boden, direkt neben der Fahrertür meines Wagens. Er war ganz leicht zu finden, nachdem ich den Schuss auf die Gestalt im Nebel abgegeben hatte. Warum fragen Sie?«
»Weil ich den Verdacht habe, dass ihn jemand absichtlich so hingelegt hat, dass Sie ihn finden mussten. Unser Mörder ist ein ausgesprochen schlauer Fuchs. Das gibt mir eine Menge Stoff zum Nachdenken.«
»Und worüber denken Sie gerade nach?«, fragte Paula.
»Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen.«
»Dass Sie auch immer so kryptisch sein müssen«, sagte Paula gereizt, für Tweed ein untrügliches Anzeichen dafür, dass sie ihren Schock schon so gut wie überwunden hatte. Als er ein paar Minuten später wieder zu ihr hinüberschaute, stellte er erleichtert fest, dass sie den Kopf an Newmans Schulter gelehnt hatte und eingeschlafen war.
Als sie bald darauf in Lugano ankamen, musste Newman sie aufwecken. Vorsichtig stiegen sie aus dem Zug, wobei Tweed sich zuerst auf dem Bahnsteig umsah und dann den anderen ein Zeichen gab, dass sie ihm folgen konnten. Auf dem dunklen Parkplatz sahen sie, wie Arbogast in eine überlange Limousine stieg, die von einem Chauffeur gesteuert wurde. Sophie, die ihre Koffer selbst trug, folgte ihm ebenso wie Marienetta.
»Sophie muss ziemlich stark sein«, bemerkte Paula.
Auch Russell Straub, gefolgt von Danvers, stieg in die Limousine. Erst als die Rücklichter in Richtung Hotel verschwanden, wandte Tweed sich an die anderen.
»Ich finde es seltsam, dass Straub immer zusammen mit den Arbogasts reist. Vielleicht ist das der Schlüssel zur Lösung dieses Falles.«
Paula war zu müde, um ihn zu fragen, was er damit meinte. Schweigend stieg sie in den Kleinbus, den Newman am Nachmittag hier abgestellt hatte. Im Wagen wiederholte sie ihren Entschluss, dass sie sich im Hotel sofort mit zwei Flaschen Mineralwasser auf ihr Zimmer zurückziehen wolle.
Als sie im Hotel angelangt waren und Tweed sie zusammen mit Newman auf ihr Zimmer brachte, hörte sie sich erleichtert seinen Vorschlag an.
»Wenn es Ihnen Recht ist, werde ich die ganze Nacht über jemanden hier auf Ihrer Couch postieren.«
»Das wäre mir sogar sehr recht, dann kann ich beruhigt schlafen.«
Pete Nield, der keinen Hunger hatte, meldete sich freiwillig für die erste Wache. Er wartete auf dem Balkon, bis Paula geduscht und ihren Schlafanzug angezogen hatte und schließlich unter die Bettdecke gekrochen war. Zuerst konnte sie nicht richtig einschlafen, weil ihr die verschiedensten Gesichter im Kopf herumschwirrten. Da war Roman Arbogast, der aussah wie auf dem wilden Bild, das Marienetta von ihm gemalt hatte; da war Sophie auf der Bank in Chiasso, die auf einmal einen trockenen Fleck gehabt hatte; da war Marienetta, deren Katzenaugen funkelten, als sie auf derselben Bank Paulas Hand in die ihre nahm. Und dann waren da noch Straub, der etwas entfernt auf dem Bahnsteig stand, und Danvers, der mit grimmiger Miene hinter dem Polizisten gestanden hatte. Normal? Abnormal? Auf einmal kamen sie Paula alle abnormal vor. Dann aber schaltete ihr Verstand ab, und sie fiel in einen tiefen Schlaf.
Nach dem Essen versammelte Tweed den Rest des Teams in seiner Suite und beauftragte Harry Butler, Pete Nield später, sobald Newman diesen als Wache in Paulas Zimmer abgelöst hatte, von der Besprechung zu
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