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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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geringe Körpergröße auffallend. Ein breiter Mund, wie eine zynische Schnittwunde in dem mageren Gesicht. Ein trotz der Sonnenbräune unleugbar hellhäutiges Gesicht, von braunen Haaren gekrönt. Einem glanzlosen, faden Braun. Er nahm eine Bürste aus dem Koffer und drückte sie in sein Haar. Sein Teint verursachte ihm immer ein leichtes Schuldbewußtsein. Ein Kind sollte die Farbe von Oliven haben, nicht von Zitronen oder Hafergrütze, hatte er einmal seine Mutter sagen hören. Sein Teint war wie Hafergrütze, ein Kompromiß zwischen seinem blonden Vater und seiner italienischen Mutter.
    Seine Mutter war dunkel gewesen, eine Frau mit unglaublich schwarzen Augen und unglaublich schweren Lidern, den Schlafzimmeraugen einer irdischen Heiligen. Er konnte sich kaum an ihr Gesicht erinnern, aber um ihre Augen zu sehen, brauchte er bloß die seinen zu schließen. An den Abenden, wenn sein Vater betrunken heimgekommen war – der abtrünnige Myron Silberstein, der im Schnaps ertrank, eine Gewohnheit, die er zusammen mit italienischen Lieblingsphrasen angenommen hatte, um seine Vorurteilslosigkeit zu demonstrieren, und seine nach Anis riechenden Hilfeschreie ausstieß (O putana nera! O troia scura! O donna! Oi, nafke!) –, an solchen Abenden pflegte der kleine Junge in der Dunkelheit wach zu liegen, und er zitterte bei dem dumpfen Schlag der Fäuste seines Vaters auf dem Fleisch seiner Mutter, der ihn krank machte, bei dem Klatschen ihrer Handfläche gegen sein Gesicht, und die Geräusche mündeten oft in anderen, hitzigen, rasenden, keuchenden, die ihn starr daliegen und die Nacht hassen ließen.
    Als er in der Untermittelschule und seine Mutter schon vier Jahre lang tot war, entdeckte er die Sache mit Gregor Johann Mendel und den Erbsen, machte sich daran, sein eigenes Erbbild zusammenzubrauen, und hoffte im stillen, daß seine braunen Haare und Augen sich als genetische Unmöglichkeit erweisen würden: daß er die Blondheit seines Vaters hätte erben müssen, und daß er vielleicht doch ein Bastard war, das Erzeugnis seiner schönen toten Mutter und eines unbekannten Mannes, der alle jene edlen Tugenden besaß, die dem Mann, den er Paps nannte, so sehr fehlten.
    Aber die Biologiebücher enthüllten ihm, daß die Kombination von Mondlicht und Schatten eben – Hafergrütze ergab.
    Na schön.
    Jedenfalls war er zu jener Zeit bereits mit einer Art Haßliebe an Myron Silberstein gebunden.
    Um das zu beweisen, du verdammter Narr, sagte er zu seinem Spiegelbild, kratzt du zweihundert Dollar zusammen und läßt sie dir dann von ihm herauslocken, fast die ganze Summe. Was war es, das in seinen Augen aufleuchtete, als sich seine Hände – diese Hände eines hebräischen Fiedlers und Hausmeisters, in deren Knöcheln der Kohlenstaub eingefressen war – um das Geld geschlossen hatten?
    Liebe? Stolz? Die Verheißung der schönsten Überraschung im Leben, einer unverhofften Trunkenheit? Jagte der alte Mann noch immer nach Liebe? Wohl kaum. Die bei Alkoholikern übliche Impotenz des mittleren Alters. Gewisse Ketten binden früher oder später jeden, selbst einen Myron Silberstein.
    Nur ein Mensch, die Großmutter, seine vecchia, war je imstande gewesen, seinen Vater einzuschüchtern. Rosella Biombetti war eine kleine Süditalienerin gewesen; das weiße Haar zu einem Knoten gedreht, alles übrige natürlich schwarz: Schuhe, Strümpfe, Kleid, Halstuch, oft sogar die Stimmung, als trauere sie um die Welt. In ihrem olivfarbenen Gesicht standen Narben, die ihr geblieben waren, als sie vierjährig in dem Avellino-Dorf Petruro lebte und alle acht Kinder der Familie an vaiolo, den gefürchteten Pocken, erkrankten. Die Krankheit raffte keines hinweg, entstellte jedoch sechs der Kinder und zerstörte das siebente, einen Achtjährigen namens Muzi, dessen Hirn das hohe Fieber zu weicher Asche verbrannte und ihn als ein Etwas hinterlassen hatte, das schließlich zu einem alternden kahlköpfigen Mann in East-Liberty von Pittsburgh, Pennsylvanien, wurde; er spielte den ganzen Tag mit seinen Löffeln und Flaschenkappen und trug, selbst wenn die Julihitze die Luft über der Larimer Avenue schimmern ließ, einen zerlumpten Sweater.
    Einmal fragte Adam die Großmutter, warum der alte Großonkel so war.
    »L’ Arlecchino«, sagte sie.
    Er lernte schon früh, daß der Harlekin die innere Angst war, die das Leben seiner Großmutter durchzog, das Universalübel, ein Erbe aus dem Europa vor zehn Jahrhunderten. Ein Kind stirbt an einem plötzlichen Anfall

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