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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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einer unerwarteten Krankheit? Es wurde vom Harlekin geraubt, der nach Kindern giert. Eine Frau wird schizophren? Der schlanke, teuflisch-schöne dämonische Liebhaber hat sie verführt und ist mit ihrer Seele durchgebrannt. Ein Arm schrumpft gelähmt zusammen, ein Mensch vergeht langsam unter den Verheerungen der Tuberkulose? Der Harlekin pflückt und pflückt Lebenskraft von seinem Opfer und schlürft die Lebensessenz wie Syrup.
    In dem Versuch, ihn zu bannen, machte sie ihn zu einem Familienmitglied. Als Adams Kusinen immer mehr erblühten und mit Lippenstiften und hohen spitzen Büstenhaltern zu experimentieren begannen, kreischte die alte Frau, daß sie den Harlekin anlocken würden, der in der Nacht die Jungfernschaft stahl. Während Adam der vecchia jahrelang zuhörte, erfuhr er Einzelheiten. Der Harlekin trug Kniehosen und eine Jacke aus bunten Flicken und war unsichtbar, außer bei Vollmond, der seine Buntschekkigkeit in einen vor tausend Lichtern glitzernden Anzug verwandelte. Er besaß keine Stimme, aber das Geklingel der Glöckchen an seiner Narrenkappe verriet seine Anwesenheit. Er trug ein hölzernes Zauberschwert, eine Art Narrenzepter, das er als Zauberstab verwendete.
    Manchmal dachte der Knabe, es wäre ein wunderbares Abenteuer, der Harlekin zu sein, so allmächtig, so herrlich böse. Als Adam elf war und seine ersten Samenergüsse während der nächtlichen Träume hatte, durch die die üppige dreizehnjährige Lucy Sangano geisterte, beschloß er zu Halloween, dem Abend vor Allerheiligen, der böse Geist zu sein. Während die anderen Kleinen in ihren Verkleidungen zu Spaß und Schmaus von Tür zu Tür rannten, wandelte er langsam durch die plötzlich behagliche Dunkelheit und stellte sich wilde Szenen vor, in denen er den zarten jungen Hinterbacken Lucy Sanganos einen leichten Schlag mit seinem Schwert aus einer Kistenlatte gab und stumm befahl: »Zeig mir alles.«
    Rosella wehrte den Bösen mit vier Mittelchen ab, von denen Adam nur zwei, das Weihwassersprengen und den täglichen Besuch der Heiligen Messe, für harmlos hielt. Ihr Brauch, die Türknöpfe mit Knoblauch einzureiben, war ihm wegen der ständig klebrigen Hände lästig und brachte ihn wegen des stechenden Geruchs in der Schule immer wieder in Verlegenheit, obwohl er selbst heimlich den letzten Rest, der in seiner verschwitzten Handfläche zurückgeblieben war, genoß, wenn er sie nachts in seinem Bett an die Nase hielt.
    Den wirkungsvollsten Schutz erreichte man, wenn man die zwei Mittelfinger unter den Daumen klemmte, den Zeigefinger und den kleinen Finger in Nachahmung der Teufelshörner ausstreckte und zwischen ihnen trocken durchspuckte, sowie das Sprüchlein folgen ließ: Scutta mal occhio, brich den bösen Blick, pf, pf, pf.
    Rosella führte diesen Ritus täglich viele Male durch, was ihm ebenfalls peinlich war; denn für einige von Adams gleichaltrigen Freunden war das Fingerzeichen ein Geheimsignal anderer Art, eine Abfuhr, ein geringschätziges Zeichen von Ungläubigkeit, die in einem einzigen schnellen, unschönen Wort zusammengefaßt wurde. Für diese Uneingeweihten war es erheiternd, wenn die Großmutter Damo Silverstones das pöbelhafte Geheimzeichen machte. So kostete ihn die Großmutter seine erste blutige Nase und sehr viel Ärger.
    Seine junge Seele wurde zwischen dem frommen Aberglauben der alten Frau und dem Vater hin und hergerissen, der an jedem Jom Kippur vorsichtig nüchtern blieb, damit er aus irgendeinem wichtigen geheimen Grund fischen gehen konnte. Ihr Aberglaube und ihre Religion besaßen ihre Reize, aber zuviel von dem, was sie sagte, war einfach nur dumm. Größtenteils ergriff er schweigend die Partei seines Vaters, vielleicht weil er in dem Mann so eifrig nach etwas Bewundernswertem suchte.
    Und dennoch, als sie in ihrem achtzigsten und seinem fünfzehnten Lebensjahr kränkelte und es mit ihr zu Ende ging, sehnte er sich schmerzlich nach ihr. Als Dr. Calabreses langer schwarzer Packard mit zunehmender Regelmäßigkeit vor dem Miethaus in der Larimer Avenue parkte, betete er für sie. Und als sie eines Morgens mit einem koketten Lächeln auf den Lippen starb, weinte er um sie und wußte endlich, wer der Harlekin wirklich war. Er wünschte nicht mehr den verliebten Spaßmacher zu verkörpern, der der Tod war; statt dessen beschloß er, eines Tages wie Dr. Calabrese einen langen neuen Wagen zu fahren und den arlecchino bis ans Ende zu bekämpfen.
    Er verabschiedete sich von der alten Frau bei dem schönsten

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