Die Klinik
daß er erwachsen war, und was er war.
Doktor Robinson, erinnerte er sich.
Und wo – in einem schäbigen, miserablen Krankenhaus in Boston. Sein erster Tag als Spitalsarzt.
In der Toilette am Ende der Halle stand jemand auf Zehenspitzen vor dem fleckigen Spiegel und kratzte mit einem Rasiermesser an seinem Kinn herum.
»Morgen. Ich bin Spurgeon Robinson.«
Der weiße Junge trocknete sich sorgfältig mit seinem Handtuch ab und streckte dann eine gute Chirurgenhand aus, nicht groß, aber kräftig, mit einem festen, aber leichten Griff. »Adam Silverstone«, sagte er. »Ich brauche nur noch etwa drei Striche zu einer sauberen Rasur.«
»Keine Eile«, sagte Spurgeon, obwohl sie beide wußten, daß es eilig war. Das Badezimmer hatte Holzböden, und die Malerei an den Wänden schälte sich ab. An die Tür einer der beiden Kabinen hatte ein Philanthrop geschrieben: Rita Leary ist eine Krankenschwester, die es wie ein zärtliches Häschen macht, A Spinwall 7-9910. Es war der einzige Lesestoff in dem Raum, den Robinson schnell erforscht hatte, und er warf als Reflexbewegung einen Blick auf den Weißen, ob der bemerkt hatte, daß er es las.
»Wie ist der Oberarzt?« fragte er beiläufig.
Das Rasiermesser, das eben schaben wollte, stoppte einen halben Zoll vor der Wange. »Manchmal mag ich ihn. Manchmal mag ich ihn gar nicht«, sagte Silverstone.
Spurgeon nickte und beschloß, den Mund zu halten und den Mann nicht beim Rasieren zu stören. Wenn er noch länger wartete, würde er schon am ersten Tag zu spät kommen, dachte er. Er hängte seinen Bademantel auf, stieg aus der Unterhose und unter die Brause; anfangs wagte er es nicht, sich den Luxus langen Duschens zu vergönnen, konnte aber nach der langen Nacht der Mittsommerhitze, die sich in dem Zimmer unter dem Dach angesammelt hatte, unmöglich widerstehen.
Als er herauskam, war Silverstone fort.
Spurgeon rasierte sich sorgfältig, aber schnell, wie ein gespanntes schwarzes Fragezeichen über das einzige altmodische Waschbecken gebeugt; an seinem ersten Tag in einem neuen Krankenhaus mußten Präzedenzfälle gesetzt werden. Einer von ihnen war, zu den Morgenvisiten nicht als letzter im Büro des Oberarztes einzutreffen.
In seinem Zimmer zwängte er sich in den weißen Anzug, der so steif gestärkt war, daß er knisterte, in reine weiße Socken und die Schuhe, die er am Abend vorher geputzt hatte. Es blieben ihm nur noch wenige Minuten. Mit dem Frühstück war es nichts, dachte er bedauernd. Der Lift fuhr langsam; es würde lange dauern, bis er sich angesichts der Hast eines gedrängten Stundenplans an das zähflüssige Tempo der uralten Kabine gewöhnt haben würde. Das Büro des Oberarztes im zweiten Stock war voll junger Männer in weißen Ärztemänteln, die herum saßen, lümmelten oder standen; einige von ihnen versuchten, gelangweilt dreinzusehen, ein paar von ihnen gelang es sogar.
Der Oberarzt saß hinter seinem Schreibtisch und las die Surgery. Es war Silverstone, sah Robinson bestürzt. Ein Komödiant oder ein Philosoph, dachte er und ärgerte sich über seinen Lapsus, einen völlig Fremden um dessen Meinung über den ihm noch unbekannten Chef zu fragen. Er ließ seinen Blick über die Gesichter im Zimmer gleiten. Alles Weiße. Bitte, lieber Gott, laß mich nicht schlappmachen, sagte er stumm, das Gebet, das er jahrelang vor jeder Prüfung gesprochen hatte.
Er trat von einem Fuß auf den anderen. Endlich kam der letzte, ein überstellter Facharztanwärter im ersten Jahr, sechs Minuten zu spät, die ersten sechs Minuten seiner Ausbildungszeit zum Facharzt.
»Wie heißen Sie?« fragte Silverstone.
»Potter, Doktor. Stanley Potter.«
Silverstone sah ihn starr an. Die Neuen warteten auf ein Zeichen, eine Enthüllung, eine Vorschau auf Kommendes.
»Dr. Potter, Sie haben uns warten lassen. Jetzt lassen wir die Patienten und Schwestern warten.«
Der Facharztanwärter nickte und lächelte verlegen.
»Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
»Das hier ist ein klinischer Lehrgang und keine Show, die zu Ihrem Vergnügen inszeniert wurde, die Sie verspätet oder beiläufig besuchen können. Wenn Sie auf dieser Station arbeiten wollen, werden Sie sich wie ein Chirurg bewegen, denken und handeln.«
Potter lächelte unglücklich.
»Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
»Gut.« Silverstone sah sich langsam im Zimmer um.
»Haben Sie mich alle verstanden?«
Einige der Neuen nickten fast glücklich und tauschten heimlich vielsagende Blicke aus, da ihre Frage
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