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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sei ich Odysseus«, sagte er, noch immer in hellenischer Stimmung. »Du bist eine Sirene.«
    »Nein. Ich bin einfach nur Gabrielle Pender.«
    Sie saßen im Heck, mit dem Gesicht zum gegenüberliegenden Ufer und den Lichtern, die eigentlich die Stimmung hätten stören müssen, es aber nicht taten, Cambridge Electric und die Electronic Corporation of America und alle anderen. Wieder küßte er sie, und als er sich von ihr löste, sagte sie: »Er war verheiratet.«
    »Wer?«
    »Odysseus. Erinnerst du dich an die arme Penelope, die daheim in Ithaka wartete?«
    »Er hatte sie zwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen. Also schön, dann bin ich jemand anderer.« Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Gott, roch sie gut. Ihr kaum merkbarer Atem wurde schneller, als er ihren Hals küßte, und ihr zarter Puls trommelte kleine Hammerschläge auf seinen Lippen. Das Boot hob und senkte sich auf den winzigen Wellen, die von der Flußmündung zu ihnen kamen und unter dem Dock plätscherten.
    »Ah, Adam«, sagte sie zwischen Küssen. »Adam Silverstone, wer bist du jetzt? Wer bist du wirklich?«
    »Finde es heraus und laß es mich wissen«, sagte er.
     
    Die Stechmücken trieben sie an Land. Er half ihr die Dekke zu falten, und sie verstauten sie in ihrem Wagen, einem arg mitgenommenen blauen Plymouth Convertible Baujahr 1963, der abseits vom Storrow Drive geparkt war. Sie gingen in eine Cafeteria in der Charles Street, saßen an einem Tisch an der Wand und tranken Kaffee.
    »War es ein Unfall, der dich im Krankenhaus festhielt?«
    Er erzählte ihr von Grigio. Sie war eine gute Zuhörerin und stellte intelligente Fragen.
    »Ich fürchte mich nicht vor Feuer oder Ertrinken«, sagte sie.
    »Das heißt, daß du dich doch vor etwas fürchtest.«
    »Wir hatten viele Krebsfälle in der Familie, auf beiden Seiten. Meine Großmutter ist vor kurzem daran gestorben.«
    »Das tut mir leid. Wie alt war sie?«
    »Einundachtzig.«
    »Auf das würde ich mich einlassen.«
    »Nun ja, ich auch. Aber meine Tante Louisa zum Beispiel. Eine junge, schöne Frau. Ich will nicht sterben, bevor ich wirklich alt bin«, sagte sie. »Sterben sehr viele Patienten in dem Krankenhaus? Eine hohe Ziffer, meine ich?«
    »In einer Abteilung wie der unseren monatlich ein paar. Wenn auf unserer Station ein Monat ohne Todesfall vergeht, gibt der Oberarzt oder der Fellow ein Fest.«
    »Feiert ihr viele Feste?«
    »Nein.«
    »Ich könnte das nicht tun, was du tust«, sagte sie. »Ich könnte den Schmerzen und dem Sterben nicht zusehen.«
    »Es gibt viele Arten zu sterben. Auch in der Psychologie gibt es Leiden, denen man zusehen muß, nicht?«
    »Sicher, in der klinischen. Das ist auch der Grund, warum ich dabei landen werde, süße kleine Jungen zu testen, um zu sehen, warum sie nicht unter dem Bett hervorkommen.«
    Er nickte lächelnd.
    »Wie ist das, jemanden sterben zu sehen?«
    »Ich erinnere mich an das erste Mal… Ich war noch Student. Da war dieser Mann… Nun, ich sah ihn auf meinen Visiten. Er war einfach prima, lachte und riß Witze. Während ich seine I. V. fixierte, blieb sein Herz stehen. Wir versuchten alles nur mögliche, um ihn zurückzuholen. Ich erinnere mich, wie ich ihn ansah und mich fragte: Wohin ist er gegangen? Was war es, das fortging? Was hat ihn von einem Menschen in… das hier verwandelt?«
    »Gott«, sagte sie. Dann: »Ich habe so einen Knoten bekommen.«
    »Was?« sagte er.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Aber er hatte es doch gehört. »Wo?«
    »Das möchte ich lieber nicht sagen.«
    »Um Christi willen«, sagte er, »ich bin doch Arzt, nicht?« Wahrscheinlich die Brust, dachte er.
    Sie schaute weg. »Bitte. Es tut mir leid, daß ich es erwähnt haben. Ich bin überzeugt, es ist nichts. Ich gehöre zu der Sorte, die sich pausenlos Sorgen macht.«
    »Warum meldest du dich dann nicht bei einem Arzt zu einer Untersuchung an?«
    »Ich werde es tun.«
    »Versprichst du es mir?«
    Sie nickte, lächelte ihn an und wechselte das Thema, erzählte ihm von sich. Eltern geschieden; Vater wiederverheiratet und Kurdirektor in einem Ort in den Berkshires, Mutter mit einem Viehzüchter in Idaho wiederverheiratet. Er erzählte ihr, daß seine Mutter Italienerin gewesen und gestorben, und sein Vater Jude war, vermied es aber sorgfältig, mehr von sich zu erzählen. Sie merkte es und drängte ihn nicht.
    Als jeder drei Tassen Kaffee getrunken hatte, bestand sie darauf, ihn zum Krankenhaus zurückzufahren. Er gab ihr keinen Gutenachtkuß, teils weil sie am Eingang

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