Die Klinik
führen, zitterten sie doch.
Dieser Augenblick gab ihm die Chance, sie anzusehen. Ihr Blond war nicht ihre eigene Haarfarbe, eine zwar kostspielige, aber trotzdem erkennbare Tönung. Ihre Haut war gut, die Nase leicht vorspringend, gebogen, leidenschaftlich; der Mund um eine Spur zu breit, aber voll.
Sie merkten beide gleichzeitig, daß er sie anstarrte. Sie lächelte, und er kam sich wie ein Abenteurer vor.
»Sind Sie mit einem Patienten hier?«
»Ja«, sagte er.
»Es ist ein sehr gutes Krankenhaus.«
»Ich weiß«, sagte er. »Ich bin Arzt, Spitalsarzt am Sufffolk County General.«
Sie hob den Kopf. »Welche Abteilung?«
»Chirurgie.« Er streckte die Hand aus. »Ich heiße Rafe Meomartino.«
»Elizabeth Bookstein.« Aus irgendeinem Grund lachte sie, was ihm ärgerte. Er hatte sie nicht für eine dumme Frau gehalten. »Dr. Longwood ist mein Onkel«, sagte sie, als sie ihm die Hand gab.
Christos.
»Oh?«
»Ja«, sagte sie. Sie lachte nicht mehr, beobachtete jedoch sein Gesicht und lächelte. »Himmel. Sie mögen meinen Onkel nicht. Gar nicht.«
»Nein«, sagte er, zurücklächelnd. Er hielt noch immer ihre Hand.
Zu ihrer Ehre fragte sie nicht warum. »Es heißt, er sei ein guter Lehrer«, sagte sie.
»Das ist er auch«, sagte Rafe. Die Antwort schien sie zu befriedigen. »Ihr Name. Woher haben Sie das ,Bookstein’?«
»Ich bin eine geschiedene Frau.«
»Geschieden von jemandem im besonderen?«
Sie zog ihre Hand zurück, aber das Lächeln blieb. »Von niemandem im besonderen.«
Er sah seine Mutter durch die Tür kommen, sie sah viel kleiner aus als gestern und bewegte sich viel langsamer, als sie sich einst bewegt hatte.
»Mama«, sagte er und stand auf. Als sie herüberkam, stellte er sie einander vor. Dann verabschiedete er sich höflich von dem Mädchen und verließ langsam das Kaffeehaus, seinen Schritt dem seiner Mutter anpassend.
Bei ihren späteren Krankenhausbesuchen suchte er das Mädchen, aber sie war nicht im Kaffeehaus; die Freiwilligen arbeiteten unregelmäßig und kamen mehr oder weniger, wann sie wollten. Er hätte ihre Telephonnummer finden können – aber er nahm sich nicht einmal die Mühe, das Buch aufzuschlagen. Die Arbeit im Krankenhaus war sehr schwer, und der sich verschlimmernde Zustand seiner Mutter lag mit jedem Tag schwerer auf seinen Schultern. Ihr Fleisch schien dünner und durchsichtiger zu werden, sich fester über das zarte Rahmenwerk ihrer Knochen zu spannen. Ihre Haut entwickelte eine leuchtende Helligkeit, die er für den Rest seines Lebens bei Krebskranken sofort erkennen sollte, wann immer er sie sah.
Sie sprach jetzt öfter von Kuba. Manchmal, wenn er heimkam, fand er sie im Zimmer am Fenster sitzen und auf den Verkehr hinunterschauen, der leise über die Arlington Street glitt.
Was sah sie, fragte er sich: Kubanische Gewässer? Kubanische Wälder, kubanische Felder? Gesichter von Geistern, von Menschen, die er nie gekannt hatte?
»Mamacita«, sagte er eines Abends, unfähig zu schweigen. Er küßte ihren Scheitel. Er wollte die Hand ausstrekken, ihr Gesicht streicheln, sie sanft an sich ziehen, seine Arme um sie legen, damit nichts sie erreichen und alles, was ihr schaden konnte, zuerst durch ihn hindurchgehen mußte. Aber er fürchtete, daß er sie erschrecken würde, daher tat er nichts von alledem.
Nach sieben Wochen hatten sich Aspirin und Kodein als unwirksam erwiesen. Der Krebsarzt ersetzte diese Mittel durch Demerol.
Elf Wochen später brachte sie Rafe wieder in das hübsche sonnige Zimmer im Phillips House des Massachusetts General Hospital. Reizende Schwestern füllten ihre Venen regelmäßig mit der Gabe der Mohnblumen.
Zwei Tage, nachdem seine Mutter in Koma verfiel, sagte ihm der Krebsspezialist gütig, aber sachlich, er könne zwar weiterhin einiges unternehmen, um das Funktionieren ihrer lebenswichtigen Organe zu verlängern, er könne aber auch damit aufhören, so daß sie ziemlich schnell sterben würde.
»Wir sprechen nicht von Euthanasie«, sagte der alternde Arzt. »Wir sprechen von dem Entschluß, ein Leben zu stützen, in dem keine Hoffnung mehr auf ein wirkliches Leben besteht; nur Perioden schrecklicher Schmerzen. Ich treffe diesen Entschluß nie allein, wenn ein Verwandter vorhanden ist. Überlegen Sie es sich. Es ist ein Entschluß, vor dem Sie als Arzt immer wieder stehen werden.«
Rafe brauchte nicht lange zu überlegen. »Lassen Sie sie gehen«, sagte er.
Als er am folgenden Morgen das Krankenzimmer seiner
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