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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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er da sah, kein Forscher war.
    Den Korridor auf und ab und über drei Stockwerke, manchmal fast laufend, verschenkte er, wie ein kubanischer Weihnachtsmann der modernen Medizin, alle kleineren tragbaren Ausrüstungsgegenstände, alle Retorten, alle die schönen unbenutzten Chemikalien. Er nahm die Zentrifuge und trug sie in das kleine Labor Rivkinds. Das Mikroskop – ein nützlicher Gegenstand für die öffentliche Gesundheitsfürsorge? – packte er sorgfältig ein und sandte es an Paula in die wilden Berge, wo sie eine wirkliche Ärztin war. Dann hinterließ er seinen Schlüssel und einen kurzen, aber dankbaren Brief mit der Mitteilung seines Rücktritts im Briefkasten des Dekans, verließ das Gebäude, und sein Herz ließ, fast sichtbar, große schmerzliche Tropfen zurück.
     
    Das war es also.
    Er war kein medizinischer Forscher.
    Er würde den Genen seines Vaters gehorchen und ein Zuckermensch werden.
    Er ging täglich in das Büro im central.
    Zu Onkel Erneidos Linker (Guillermo zu dessen Rechter) wohnte er Verkaufsberatungen bei, Produktionssitzungen, Beratungen über die Besetzung wichtiger Posten und der Entlassung wichtiger Angestellter, Programmsitzungen, Transportkonferenzen.
    Kein großer, zu schnell aufgeschossener kleiner Junge mehr, der Wissenschaftler spielte.
    Jetzt war er ein großer aufgeschossener kleiner Junge, der Geschäftsmann spielte.
    Jeden Abend, wenn er das Büro verließ, ging er, wie verabredet, in eines der verschiedenen Sauflokale, wo kurz darauf Guillermo mit den Frauen aufzutauchen pflegte, meist Halbberuflichen, manchmal aber auch nicht, quasi als Appetitanreger; wenn sie durch den Raum auf Rafe zugingen, versuchte er zu erraten, was sie waren, irrte sich aber oft. Von einem Paar, das er als Callgirls eingestuft hatte, stellte sich heraus, daß es zwei Lehrerinnen aus Flint in Michigan waren, die bei allem Schuldbewußtsein doch ihrem Bedürfnis nachgaben, sich nützlich zu fühlen.
    Guillermo war, wie Rafe bald erkannte, auch in diesen Angelegenheiten nur zweitklassig. Sie besuchten banalverruchte Lokale, Suchtgifthöhlen, Sex-Bumsen, Klischees, die beschlagene und klügere Habaneros als Fallen für verlegene Yankeetouristen und Hemingway-Sucher verächtlich abtaten. Er erkannte, daß er einer aufgedunsenen Zukunft zutrieb. Er sah sich, wie er in zehn Jahren trübäugig und gleichgültig an einer Zuckerwarze saugte und mit Guillermo in den Bars am Prado dreckige Geschichten austauschte. Trotzdem fühlte er sich seltsam machtlos, sich aus diesem Sumpf zu ziehen, als sei er eine Hindufigur, die gegen ihren Willen in einem obszönen Steinfries erstarrt war und den Bildhauer verfluchte.
    Später bestand für ihn kein Zweifel, daß ihn Fidel Castro gerettet hatte.
     
    Einige Tage blieben alle in ihren Häusern. Da und dort kam es zu Zerstörung und Plünderung im Namen der Gerechtigkeit, wie etwa dem Deauville-Kasino, wo Batista mit amerikanischen Spielern die Einnahmen geteilt hatte.
    Überall waren Castroleute in allen möglichen schmutzigen Kleidern. Ihre Uniformen bestanden aus rotschwarzen Armbinden, 26 de Julio, geladenen Gewehren und Bärten, wodurch einige Christus, andere aber nur Ziegen ähnelten. Im Sportpalast von Havanna begannen die Hinrichtungskommandos mit ihrer Arbeit, die täglich fortgesetzt wurde, manchmal schon morgens.
    Als Rafe eines Nachmittags in dem fast verlassenen Jokkey-Klub saß, wurde er ans Telephon gerufen. Er hatte niemandem gesagt, wohin er gegangen war. Jemand muß mir gefolgt sein, dachte er.
    »Hallo?«
    Die Frau am anderen Ende der Leitung nannte sich »eine Freundin«. Er erkannte Paulas Stimme sofort.
    »Diese Woche ist gut zum Verreisen.«
    Kleine Kinder, die Theater spielen, dachte er, aber unwillkürlich fühlte er den weichen Kuß der Angst. Was hatte sie erfahren?
    »Meine Familie?«
    »Auch. Es sollte eine lange Reise werden.«
    »Wer spricht?« fragte er barmherzig.
    »Stellen Sie keine Fragen. Noch etwas. Ihr Telephon daheim und im Büro wird überwacht.«
    »Haben Sie das Mikroskop bekommen?« fragte er und machte Schluß mit der Barmherzigkeit.
    Jetzt weinte sie, trocken und schmerzlich, als sie zu sprechen versuchte.
    »Ich liebe dich«, sagte er und haßte sich dafür.
    »Lügner.«
    »Nein«, log er.
    Das Telephon verstummte plötzlich. Er stand mit dem Hörer in der Hand da, ein Gefühl der Lähmung und der Dankbarkeit erfaßte ihn zugleich, und er fragte sich, was er sich wohl hatte entgehen lassen, als er sie so sorgsam von

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