Die Klinik
seinen Problemen ferngehalten hatte. Dann legte er den Hörer auf und eilte zu seinem Onkel.
Sie schliefen nicht in jener Nacht. Den Boden, die Gebäude, die Maschinen, die langen guten Jahre konnten sie nicht mitnehmen. Wohl aber waren Wertsachen vorhanden, Juwelen, die kostbarsten Gemälde seiner Mutter sowie Geld auf der Bank. Vom Standpunkt der Meomartinos aus gesehen würden sie arm sein; an den gängigen Maßstäben gemessen würden sie noch immer wohlhabend sein.
Das Schiff, das Erneido besorgte, war kein Fischerboot. Es war eine Motorbarkasse, eine siebzehn Meter lange Chris-Craft 320 mit Zwillingsdieselmotoren der General Motors, einer Luxuskabine, einem mit Teppichen ausgelegten Salon und einer Küche; ein schnelles, komfortables Boot, als Hobby für reiche Leute gebaut. Als sie in der darauffolgenden Nacht in Matanzas ablegten, gab er seiner Mutter 0,16 Gramm Nembutal. Sie schlief fest.
Seine Mutter und er blieben nur zehn Tage in Miami. Guillermo und Onkel Erneido richteten sich ein Wohn und Hauptquartier in zwei Zimmern des Holiday Inn ein und entwarfen einen juristischen Feldzugsplan, von dem sie hofften, daß er ihnen irgendwie die Besitzungen der Familie Meomartino in absentia erhalten würde. Sie betrachteten Rafes Entschluß, in den Norden zu gehen, als vorübergehende Geistesverwirrung.
Seine Mutter genoß die Eisenbahnfahrt nach Boston mit dem East Coast Champion sehr. Sie fuhren durch die eiskalte Frühlingsluft New Englands direkt zum Ritz.
Einige Wochen lang spielten sie Touristen und trieben sich in den Welten Paul Reveres und George Apleys herum. Die Kräfte seiner Mutter verrieselten wie Sägemehl aus einer zerrissenen Puppe. Als sie ständig erhöhte Temperatur aufzuweisen begann, fand er einen berühmten Krebsarzt im Massachusetts General Hospital und blieb bei ihr, bis das Fieber verschwunden war. Dann nahm er seine rastlose Suche – wonach? – ohne sie wieder auf.
Es war ein kühler, grausamer März. Die Flieder und Magnolienbüsche an der Commonwealth Avenue hatte noch feste harte Knospen, braun und schwarz, aber in dem öffentlichen Park gegenüber dem Ritz setzten Beete mit Glashaustulpen Farbkleckse auf den noch schlafenden Rasen.
Er fuhr die kurze Strecke nach Cambridge, ging im Yard auf und ab, betrachtete die rosenwangigen Studenten, von denen einige Castrobärte trugen, studierte die robusten, nüchternen Studentinnen des Radcliffe-College mit ihren Büchersäcken aus grünem Filz und fühlte sich nicht wieder zu Hause.
Er traf sich einmal mit Beany Currier, nunmehr Facharztanwärter für Pädiatrie im zweiten Jahr am Bostoner Floating Hospital for Infants and Children. Durch Beany lernte er andere junge Spitalsärzte kennen, trank mit ihnen Bier bei Jake Wirth und hörte ihnen zu. Eines Morgens erkannte er glücklich, daß die Medizin für ihn doch nicht erledigt war. Er begann das Gebiet aus einer neuen Perspektive zu betrachten, langsam und sorgfältig, und Krankenhäuser und chirurgische Abteilungen zu studieren. Er verbrachte ganze Abende damit, durch die Gänge des Massachusetts General zu wandern, des Peter Bent Brigham, Varney, Beth Israel, Boston City, des New England Medical Center. In dem Augenblick, in dem er das Suffolk County General Hospital erblickte, spürte er ein seltsames Flattern im Bauch, als hätte er eben ein begehrenswertes Mädchen erblickt. Es war ein großes altes Ungeheuer von einem Krankenhaus, vollgestopft mit Armen. Seine Mutter hätte er nicht hierher geschickt, aber er wußte, daß es ein Haus war, in dem er die Chirurgie mit einem Skalpell in der Hand erlernen würde. Es zog ihn an, und die Geräusche und Gerüche, die zu ihm herausdrangen, erwärmten ihm das Blut.
Dr. Longwood, der Chef der Chirurgie, war alles andere als herzlich. »Ich weiß nicht, ob ich Ihr Ansuchen ermutigen kann«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Lassen Sie mich offen sein, Doktor«, sagte Longwood mit einem kalten Lächeln. »Ich habe sowohl persönliche wie berufliche Gründe, Ärzten, die im Ausland geschult wurden, zu mißtrauen.«
»Ihre persönlichen Gründe gehen mich nichts an«, sagte Rafe vorsichtig. »Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihre beruflichen zu verraten?«
»Wie alle Krankenhäuser im Land haben auch wir Schwierigkeiten mit ausländischen Hausärzten gehabt.«
»Was für Schwierigkeiten?«
»Wir haben gierig nach ihnen gegriffen, um das Problem unseres Ärztemangels zu lösen. Und wir haben entdecken müssen, daß manche
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