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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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voller Zuversicht. Als er den vorderen Wagen eingeholt hatte, fragte er nochmals: »Ist das nicht Onkel Vier?«
    Der Angesprochene knurrte zustimmend.
    »Sing noch was, Onkel Vier.«
    »Was soll ich singen? Ich habe viel mehr Grund zum Weinen.«
    »Ich bin so früh aufgestanden und hätte nie gedacht, daß du noch vor mir bist, Onkel Vier.«
    »Es gibt noch Schnellere. Hast du nicht den frischen Mist auf der Straße gesehen?«
    »Onkel Vier, hast du gestern nichts verkauft?«
    »Du etwa?«
    »Ich bin gar nicht hingefahren. Meine Frau hatte vorletzte Nacht ihre schwere Stunde. Ich hatte alle Hände voll zu tun und konnte unmöglich weg.«
    »Was ist es geworden?« fragte Onkel Vier.
    »Ein Junge.« Gao Yang konnte seinen Stolz nicht verbergen. Plötzlich war ihm klar, warum er so gute Laune hatte. Die Frau hatte ihm einen Sohn geboren. Die Knoblauchernte war sehr gut ausgefallen. Er stand vor einer Schicksalswende. Er mußte an den Platz denken, den er für das Grab seiner Mutter ausgesucht hatte. Die Stelle war äußerst günstig. Es hatte sich gelohnt, daß er damals alle Demütigungen auf sich genommen hatte, um die Lage des Grabes nicht zu verraten.
    Als Onkel Vier, der auf dem Wagenrand saß, sich seine Pfeife anzündete, beleuchtete die Flamme kurz sein Gesicht. Ein dunkelroter Funke glomm auf, dann verbreitete sich der bitterscharfe Geruch des Pfeifentabaks in der Kühle der späten Nacht.
    Gao Yang konnte sich vorstellen, weshalb Onkel Vier bedrückt war. Ihm wäre es an seiner Stelle kaum anders ergangen. Deshalb sagte er: »Onkel Vier, alles im Leben ist Schicksal. Wen man heiratet, wieviel Geld man verdient, das alles ist einem vom Schicksal vorherbestimmt. Es hat keinen Zweck, sich darüber zu grämen.« Während er Onkel Vier tröstete, wurde ihm klar, wie gut es ihm selbst ging, ohne daß er deshalb ein Gefühl der Schadenfreude gegenüber Onkel Vier empfand. Er war nur mit der augenblicklichen Situation seiner Familie sehr zufrieden, und er wünschte auch den Söhnen Onkel Viers, daß sie so bald wie möglich Frauen fanden. Arme Familien bewundern reiche Nachbarn. »Wir Bauern«, sagte Gao Yang, »können uns nicht mit den bessergestellten Leuten vergleichen. Nicht jedes Leben ist lebenswert, nicht jeder Besitz ist erstrebenswert. Wenn wir uns mit Bettlern vergleichen, ist uns nicht nur die nächste Mahlzeit sicher, sondern auch noch die übernächste. Verschlissene Kleidung anzuziehen ist immer noch besser, als nackt herumzulaufen. Das Leben ist schwer, aber wir sind gesund. Einer mag hinken oder etwas am Arm haben, das ist immer noch besser, als an Aussatz zu leiden. Ist es nicht so, Onkel Vier?«
    Onkel Vier brummte vor sich hin und sog schlürfend an seiner Pfeife. Das silbergraue Mondlicht lag hell auf der Wagendeichsel, den Kuhhörnern, den Ohren des Esels und der glänzenden Kunststoffolie, die über die Knoblauchstengel gebreitet war.
    »Als meine Mutter starb, habe ich mich immer so getröstet: Man muß sich zwingen, zufrieden zu sein. Man muß sein Unglück auf sich nehmen. Wenn alle nur das Gute wollen – zu wem kriecht dann das Schlechte? Wenn alle in der Stadt ihrem Glück nachlaufen, wer bestellt dann unsere Felder? Als der Herr im Himmel den Menschen erschuf, hat er verschiedene Rohmaterialien benutzt. Aus hochwertigem Material hat er Beamte und Minister, aus durchschnittlichem Arbeiter und aus dem mit der geringsten Qualität die Bauern gemacht. Menschen wie wir sind aus Resten erschaffen worden, da ist es schon ein großes Glück für uns, daß wir überhaupt als Menschen auf dieser Welt leben können. Ist es nicht so, Onkel Vier? Nimm nur einmal deine Kuh. Sie muß einen ganzen Wagen Knoblauchstengel ziehen und obenauf noch dich. Wenn sie ein bißchen langsamer wird, bekommt sie die Peitsche zu spüren. So geht es allen Wesen. Deshalb, Onkel Vier, mußt du das durchstehen. Wenn du alles erträgst, bist du ein Mensch, wenn du es nicht erträgst, bist du nur ein armer Teufel. Vor einigen Jahren haben Wang Tai und seine Bande mich gezwungen, meine eigene Pisse zu trinken. Damals hatte Wang Tai noch keine Karriere gemacht. Ich habe die Zähne zusammengebissen und getrunken, schließlich war es nichts als Pisse. In Wirklichkeit geht es nur um die innere Einstellung, um ein falsches Gefühl von Sauberkeit. Man kann sich nichts Saubereres vorstellen als die Ärzte in ihren weißen Arbeitskitteln. Trotzdem essen sie die Nachgeburt. Stell dir vor, so wie sie da aus der Frau herauskommt, ganz

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