Die Knoblauchrevolte
Handvoll Getreide«, sagte Onkel Vier lächelnd.
»An deinem Tod spart der Staat gar nichts. Du hast dein Getreide selbst gepflanzt. Du bist keiner von diesen vornehmen Menschen, die ihr Essen aus den staatlichen Speichern beziehen.«
Ein Schwarm grauer Wolken bedeckte den Mond. Die Umrisse der Büsche am Straßenrand wurden undeutlicher, und mit der Dunkelheit nahm das Zirpen der Insekten im Gebüsch an Lautstärke zu.
»Onkel Vier, Gao Ma ist kein schlechter Kerl. Wenn du ihm erlaubst, Jinjü zu heiraten, beweist du, daß du Augen im Kopf hast.« Gao Yang machte diese Bemerkung etwas unüberlegt, und er bereute es sogleich, als er hörte, daß Onkel Viers Atem schwerer ging. Schnell wechselte er das Thema. »Onkel Vier, hast du schon gehört, daß der dritte Sohn der Familie Xiong aus Schafshürden-Dorf die Aufnahmeprüfung für ein Studium in Amerika bestanden hat? Er ist erst ein Jahr in den USA, hat aber schon eine blonde, blauäugige Amerikanerin geheiratet. Er hat Fotos nach Hause geschickt, die der alte Xiong immer bei sich trägt und überall herumzeigt.«
»Das Grab seiner Ahnen hatte eine günstige Lage«, meinte Onkel Vier.
Gao Yang mußte an das Grab seiner Mutter denken, das auf einem erhöhten Platz lag. Im Norden floß der Glatte Bach, im Osten verlief ein großer Bewässerungskanal, im Süden konnte man den kleinen Zhou-Berg sehen, und im Westen erstreckte sich eine grenzenlos weite Ebene. Dann dachte er an seinen Sohn, der vor zwei Tagen das Licht der Welt erblickt hatte. Die Natur hatte ihm einen großen Kopf mitgegeben. Mein Leben hat Ähnlichkeit mit einem Ziegel, der im Brennofen war. An seiner Form läßt sich nichts mehr ändern. Aber Mutters Grab hat eine günstige Lage. Vielleicht kann sie ihrem Enkel helfen, daß aus ihm etwas Besseres wird.
Ein Traktor mit aufgeblendeten Scheinwerfern überholte sie ratternd. Auf der Ladefläche türmten sich die Knoblauchstengel zu einem kleinen Berg. Die beiden trieben Kuh und Esel zur Eile an und trauten sich nicht mehr zu reden.
2
Als das Morgenrot aufzog, näherten sie sich den Eisenbahnschienen. In der Zwischenzeit waren sie von Dutzenden von Traktoren überholt worden, die alle Knoblauchstengel transportierten.
Eine schwarzweiß lackierte Schranke hielt sie auf. Hinter ihren Wagen schlängelte sich ein langer Zug von Ochsen- und Eselskarren, Pferdewagen, von Menschen gezogenen Wagen, Handwagen, Traktoren und Lastautos. Die Knoblauchernte aus vier Gemeinden wurde in die Kreisstadt gebracht. Die rote Sonne zeigte erst die Hälfte ihres Gesichts, vor dem sich schwarze Rauchspiralen kräuselten. Als sie eine halbe Elle hoch stand, bildete sich eine baldachinförmige weiße Wolke, deren Unterseite hellrot gefärbt war. Vier glänzende Eisenbahnschienen erstreckten sich von Ost nach West. Von Westen her näherte sich mit markerschütterndem Pfeifton eine grüne Lokomotive, die weißen Qualm in den Himmel warf, dann huschten eins nach dem anderen die Wagenfenster vorbei. In den Fenstern sah man die feisten Gesichter vornehmer Menschen. Neben der Schranke stand ein Mann mittleren Alters, der eine rotgrüne Flagge hochhielt. Auch er hatte ein feistes Gesicht. Ob alle vornehmen Menschen, die von der Eisenbahn leben, feiste Gesichter haben? fragte sich Gao Yang. Der Zug raste vorbei, die Erde bebte. Die Pfeife des Zuges gellte so laut und durchdringend, daß der kleine Esel vor Angst am ganzen Körper zitterte. Gao Yang legte ihm beide Hände auf die Augen, bis alles vorbei war. Der flaggenschwingende Eisenbahnarbeiter drehte eine Kurbel, und die Schranke hob sich. Sie war noch nicht ganz oben, da strömten die Wagen schon nach vorn. Weil auf der engen Straße nur zwei nebeneinander fahren konnten, mußte Gao Yang mit ansehen, wie sich wendigere Handkarren und Fahrräder an seinem Eselswagen und Onkel Viers Ochsenkarren vorbeidrängelten. Jenseits der Eisenbahnschienen ging es steil bergauf. Die Strecke wurde gerade ausgebessert und mit spitzen Schottersteinen belegt. Klebriger Lehm und gelber Sand erschwerten das Fortkommen. Die bergauf gezogenen Wagen schwankten und schaukelten so heftig, daß die Kutscher absprangen und die Tiere an den Zügeln packten, um ihre Wagen unter Kontrolle zu halten.
Onkel Viers Ochsenkarren war immer noch vor Gao Yang. Von Onkel Viers Körper stieg weißer Dampf auf, aber sein Gesicht war so schwarz wie ein Topfboden. Neben der Kuh gehend, hielt er mit der linken Hand ihre Zügel, während er mit dem Zweig in seiner
Weitere Kostenlose Bücher