Die Knoblauchrevolte
Ihre Angriffswut war dahin.
Von der Gasse her hörte er Hufgetrappel. Freudig erregt sprang er auf, den Säbel in der Hand. Das geliebte dattelbraune Fohlen steckte seinen Kopf durch die Mauerlücke. Es schien magerer geworden zu sein, und seine Augen wirkten größer. Es betrachtete ihn mitleidig. Gao Mas Augen füllten sich mit Tränen. Er sagte: »Mein Lieber, bleib bei mir, geh nicht fort, du fehlst mir, ich brauche dich.«
Der Kopf des Fohlens wich langsam zurück und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Seine Hufschläge entfernten sich in südlicher Richtung. Anfangs noch hell und laut, dann dumpf, waren sie schließlich gar nicht mehr zu hören.
2
Er überreichte seinem Nachbarn Yü und dessen Frau einen Packen Geld. »Großer Bruder, Schwägerin, das ist alles, was ich habe. Bitte erledigt das für mich. Wenn das Geld nicht reicht, streckt mir bitte etwas vor. Ich gebe es euch später zurück.«
Er saß in der Fensterecke und umspannte den Säbelgriff mit beiden Händen.
Das Ehepaar Yü wechselte einen Blick. Die Frau fragte: »Soll man nicht ihre Brüder benachrichtigen? Deine Schwiegermutter ist gestern vom Sicherheitsamt festgenommen worden, zusammen mit Gao Yang.«
»Macht, was ihr für richtig haltet, großer Bruder, Schwägerin, ich überlasse das euch.«
»Feuerbestattung oder Erdbestattung?« fragte der Mann.
Die Vorstellung, daß brausende Flammen Jinjü und das Kind in ihrem Bauch verschlangen, versetzte ihm einen Stich ins Herz. Entschieden sagte er: »Erdbestattung.«
Das Ehepaar Yü entfernte sich hastig. Andere Nachbarn kamen in Scharen zu Besuch. Einige weinten, andere hatten starre Gesichter, die weder Schmerz noch Freude verrieten. Auch der Dorfvorsteher Gao Jinjiao kam angeschlichen. Er baute sich vor Gao Ma auf, holte tief Luft und sagte: »Mein Neffe, du …« Gao Ma schwenkte den Säbel und sagte: »Treib mich nicht zum Äußersten.«
Der Dorfvorsteher lief gebückt weg.
Frau Yü hatte roten Seidenstoff gekauft und ein paar Frauen mitgebracht. Sie legten eine Schilfmatte im Hof aus, und eine Frau, die sich aufs Schneidern verstand, ging ins Haus, um Jinjüs Maße zu nehmen. Dann machte sie sich mit ihrer Schere an die Arbeit.
Der Strom der Neugierigen nahm kein Ende. Sie traten auf die Papageienkadaver, deren bunte Federn vom Wind aufgewirbelt wurden. Sie klebten an den Beinen der Leute, auf ihrer Kleidung und auf den Gesichtern, aber keiner schien etwas zu spüren.
Jinjüs Leiche wurde aufs Ofenbett gelegt, wo Gao Ma sie die ganze Zeit vor Augen hatte. Die Sonne stand hoch, und ihre Strahlen, die durch die gelben und roten Jutestengel und durch die klauenförmigen grünen Juteblätter fielen, beleuchteten Jinjüs Gesicht und verwandelten es in eine goldene Chrysantheme, die sich der Herbstsonne öffnet. Gao Ma berührte ihr Gesicht. Es war glatt und weich wie kostbarer Samt.
Jinjüs Brüder kamen getrennt. Als erster erschien der Jüngere. Aschgrau im Gesicht, eilte er mit großen Schritten über den Hof. Die von ihm aufgewirbelten Papageienfedern schwebten auf den roten Seidenstoff Als er durch die Tür trat, stürzte sich ein Papagei auf ihn, als wollte er ihm die Augen aushacken, aber ein Schlag schleuderte den Vogel an die Wand. Am Ofenbett hob der jüngere Bruder die Decke an und betrachtete das Gesicht seiner Schwester. Sie lächelte ihn an. Entsetzt ließ er die Decke fallen und rannte in den Hof. »Gao Ma, du Schweinehund, du hast meine Familie zugrunde gerichtet.« Er krempelte die Ärmel hoch und ging auf Gao Ma los, der mit der Handschelle gegen den Rücken der Säbelklinge hämmerte und den zweiten Bruder aus blutunterlaufenen Augen anstarrte. Der zog sich angstvoll zurück und sagte im Weggehen: »Ich werde dich beim Kreis anzeigen. Du hast meine Schwester auf dem Gewissen.«
Kaum war er gegangen, da kam der Ältere Bruder. Er hinkte noch schlimmer als sonst. Sein Haar war ergraut, die Augen blickten trübe. Er wirkte wie ein alter Mann. Beim Betreten des Hofes weinte er laut, ein an- und abschwellendes Geheul wie die Klage einer alten Frau. Im Zimmer schlug er mit beiden Händen auf die Kante des Ofenbetts und schrie: »Schwester, was für ein schreckliches Schicksal, du hättest nicht sterben dürfen!«
Sein lautes Weinen brachte einige Nachbarinnen dazu, sich ebenfalls die Augen zu wischen. Ein paar Männer kamen dazu, führten ihn hinaus und trösteten ihn: »Bruder Fang, wer tot ist, wird nicht wieder lebendig. Ihr seid Geschwister. Als ältester
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