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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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blutig und ohne sie zu waschen, wird sie mit gehackten Knoblauchstengeln, Salz, Sojasoße und Glutamat kurz gebraten, und dann essen sie sie auf. Doktor Wu hat die Nachgeburt meiner Frau mitgenommen. Ich habe ihn gefragt, ob sie gut schmeckt. Er hat gesagt, es schmeckt wie die Haut einer Qualle. Stell dir vor – wie die Haut einer Qualle! Sag, ist das nicht zum Kotzen? Deshalb habe ich, als sie mir damals befahlen, meine Pisse zu trinken, eine ganze Flasche davon heruntergeschluckt. Und was ist passiert? Ich habe die Pisse getrunken, und mir fehlt nichts. Ich bin immer noch ich. Parteisekretär Huang hat keine Pisse getrunken, aber im Jahr darauf ist er an Krebs erkrankt, und keine Medizin konnte ihm helfen. Da hat er Giftschlangen, Tausendfüßler, Frösche, Skorpione und Wespen gegessen, alles roh, nach dem Grundsatz, daß man Gift mit Gift vertreibt. Ein halbes Jahr hat er gekämpft, dann hat der Kampf mit seinem Tod geendet.«
    Ihre Karren durchfuhren eine Kurve. Der Weg führte mit leichter Steigung in ein Stück Ödland hinter dem Dorfsandloch. Das Terrain war übersät mit Sandbuckeln, auf denen rote Weiden, Purpurquast, Weißwachskraut und Maulbeeren wuchsen.
    Der Mond schien auf das Gebüsch und ließ Zweige und Blätter wie Sterne glänzen. Ein Mistkäfer flog summend vorbei und stürzte plötzlich ab. Onkel Vier schlug die Kuh mit dem Zweig, zündete noch einmal seine Pfeife an und rauchte.
    Der Weg stieg noch etwas steiler an. Der kleine Esel senkte den Kopf und zog den Wagen stumm die Steigung hinauf. Gao Yang bekam Mitleid mit dem Tier und legte sich wieder das Seil um die Schultern, um ihm beim Ziehen zu helfen. Die Steigung zog sich sehr lang hin. An der höchsten Stelle angekommen, warf er einen Blick zurück und sah den Lichtschein von Lampen, die in einer tiefen Grube zu leuchten schienen. Sobald es bergab ging, setzte er sich auf die Deichsel. Der Esel machte den Rücken krumm und setzte die Hufe unregelmäßig auf, als ob er kurz vor dem Umfallen wäre. Deshalb sprang Gao Yang ab und ging neben dem Wagen her.
    »Wenn der Abstieg zu Ende ist, haben wir dann schon die Hälfte des Weges hinter uns?« fragte er.
    »Fast«, sagte Onkel Vier mürrisch.
    Die Wagen rollten von der sandigen Anhöhe langsam nach unten. In den Büschen am Straßenrand zirpten die Insekten trostlos monoton. Onkel Viers Kuh stolperte und wäre fast gestürzt. Dünner Staub wirbelte vom Boden auf. Von Süden her war aus weiter Ferne ein dumpfes Rattern zu hören, und der Erdboden zitterte leicht.
    »Das ist die Eisenbahn«, sagte Onkel Vier.
    »Onkel Vier, bist du schon einmal mit der Eisenbahn gefahren?«
    »Um es mit deinen Worten zu sagen, das ist nichts für Leute wie uns. Wenn wir im nächsten Leben in eine Beamtenfamilie oder in einen reichen Haushalt wiedergeboren werden, dann können wir uns das leisten. In diesem Leben sind wir nur Zuschauer aus weiter Ferne.«
    »Ich bin auch noch nie Eisenbahn gefahren«, sagte Gao Yang.
    »Wenn der Himmel seine Hand über uns hält und uns jedes Jahr eine reiche Knoblauchernte gönnt, dann werde ich in fünf Jahren soweit sein, daß ich hundert Yüan springen lasse und mit der Eisenbahn in die Großstadt fahren kann. Dann hat es sich gelohnt, den Kreislauf des Lebens in der Haut eines Menschen zu durchlaufen.«
    »Du bist noch jung«, sagte Onkel Vier, »du hast noch Zukunftsaussichten.«
    »Was für Aussichten denn? Mit über dreißig hat man schon das halbe Leben hinter sich, mit über fünfzig nähert man sich dem Grab. Ich bin ein Jahr älter als dein erster Sohn, also einundvierzig. Die gelbe Erde reicht mir schon bis an die Brust.«
    »Die Menschen leben fast ein Jahrhundert, Pflanzen nur bis zum Herbst. Bin ich nicht eben erst auf die Bäume geklettert, um Vogelnester auszunehmen, und in den Graben gestiegen, um Fische zu fangen? Eh man sich’s versieht, ist es Zeit zum Sterben.«
    »Wie alt bist du, Onkel Vier?«
    »Vierundsechzig«, erwiderte er. »Dreiundsiebzig und vierundsechzig, das sind die Jahre, wo einen der Höllenfürst gern abberuft, wenn man sich nicht selber auf den Weg macht. Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich den neuen Weizen dieses Jahres nicht mehr kosten werde.«
    »Ach was, Onkel Vier, du bist so rüstig, keine Frage, daß du noch acht oder zehn Jahre vor dir hast.«
    »Du brauchst mich nicht zu trösten. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Das Leben macht keinen Spaß, da ist es besser, tot zu sein. Wenn ich sterbe, erspare ich dem Staat noch ein paar

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