Die Knoblauchrevolte
glühende Sonne hatten den Boden schon ausgetrocknet. Die Strahlen der tief im Westen stehenden Sonne tauchten alle Dinge in goldenes Licht, verwandelten alles in Gold, am intensivsten den Hof der Gemeindeverwaltung, weil dort die Sonnenblumen blühten.
Jinjü blieb eine Weile trübsinnig sitzen. Die Sonne sank tiefer. Nebel stieg auf. Auf den Feldern wurden Lieder gesungen, die traurig und trostlos klangen. An jedem Sommerabend, wenn die Nacht kam und der Wind kühler wurde, pflegten die Bauern zu singen. Ihre nackten Körper waren von einer dichten Staubschicht bedeckt. Im sinkenden Licht wirkten die Körper der Menschen größer als sonst, und die Ochsen wuchsen ins Riesenhafte. Ein gelber Ochse zog einen Pflug über ein Knoblauchfeld. Aus der Ferne gesehen, wirkte die Erde, die von der schimmernden Pflugschar aufgeworfen wurde, wie eine ununterbrochen heranrollende, glänzende schwarze Welle.
Jinjü blickte wie betäubt auf die Felder, und als der alte Mann, der den Pflug führte, ein Lied anstimmte, schossen ihr Tränen aus den Augen.
»Die Sonne sinkt, am Westberg wird der Himmel schwarz …« Der alte Pflüger hob seine Peitsche und ließ ihre Spitze über dem Ochsen tanzen, »das zweite Fräulein reitet den Esel hart.«
Nachdem er diese beiden Verse gesungen hatte, schwieg der Pflüger. Dann begann er von neuem. »Die Sonne sinkt, am Westberg wird der Himmel schwarz, das zweite Fräulein reitet den Esel hart.«
Weiter wußte er nicht.
Jinjü stand auf, klopfte sich mit ihrem Bündel den Staub vom Hintern und ging langsam nach Hause.
Vater war tot. Mutter verhaftet.
Vater war vor einem Monat vom Auto des Parteisekretärs der Gemeinde überfahren worden. Mutter war vom Gefangenentransporter des Sicherheitsamtes fortgebracht worden. Jinjü wußte nicht, was man ihr vorwarf. Jinjü bog zum Uferdamm ab, und beim Hinuntersteigen drückte ihr dicker Bauch so nach vorn, daß sie sich weit zurücklehnen mußte, während sie sich mit vorsichtigen Schritten über das glatte und rutschige grüne Gras zum trockenen Flußbett hinuntertastete.
Unten lag ein dicht mit Hängeweiden bewachsener Sandstreifen. Der Sandboden war sehr weich, aber an manchen Stellen auch fest, und dort wuchs gelbgrünes Gras. Sie hielt sich mit der Hand an einer dünnen Weide fest und betrachtete die glatte, grau und grün gefleckte Rinde. Ein Heer großer roter Ameisen kletterte den Stamm hinauf. Sie wußte nicht, woran sie denken sollte, ihr Kopf war immer noch leer. Ihre Beine fühlten sich geschwollen an, und das Baby in ihrem Bauch begann sie mit Faustschlägen und Fußtritten zu bearbeiten. Sie atmete tief die kühle Luft ein, beugte sich vor, hielt den Atem an und klammerte sich fest an den Stamm der Weide. Schweiß floß ihr über die Stirn, Wasser tropfte ihr aus den Augen. Das Kind in ihrem Bauch traktierte sie weiter mit Faustschlägen und Fußtritten, als ob es einen schrecklichen Haß auf sie hätte. Sie war gekränkt. Sie hörte das Ungeborene weinen und schimpfen, und sie konnte es erkennen. Es war ein Junge, der in ihrem Bauch große runde Augen machte.
Kind, willst du herauskommen? Sie setzte sich vorsichtig auf den Sandboden und strich mit der Hand über ihre wie ein Trommelfell gespannte Bauchhaut. Kind, deine Zeit ist noch nicht gekommen, hab es nicht so eilig. Sie flehte das Kind in ihrem Bauch an. Das brachte den Fötus noch mehr in Wut, und er versetzte ihr Faustschläge und Fußtritte und brüllte aus Leibeskräften, die Augen weit geöffnet. Sie hatte noch niemals gesehen, daß ein Kind mit offenen Augen weinte. Kind, bitte hab es nicht so eilig. Ihre Fingernägel zerkratzten die Weidenborke. Eine heiße Flüssigkeit rann ihr die Beine hinunter. Kind, du kannst jetzt nicht herauskommen.
Jinjü weinte laut. Ein Pirol, der im Weidenwäldchen nistete, wurde von ihrer Stimme aufgeschreckt und flog mit lautem »Schah, schah« davon.
»Gao Ma, komm schnell, Gao Ma, hilf mir doch!« In den Weiden blieb es still, nur ihr Jammern war zu hören.
Der Fötus kannte kein Erbarmen. Grausam und unerbittlich, mit runden, blutunterlaufenen Augen schrie er: »Laß mich raus! Laß mich raus!«
Am Baumstamm Halt suchend, schob sie sich mühsam in die Höhe. Dabei biß sie sich auf die Unterlippe. Bei jedem Faustschlag und jedem Fußtritt des Fötus entrang sich ihr ein Schrei, und sie krümmte sich zusammen. Vor ihren Augen schwebte die Gestalt dieses schrecklichen kleinen Dings. Es war schwarz und mager, mit großen Augen, hohem
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