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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Zehntausende von Reisenden berührt hatten, sah so schmierig aus, daß es Jinjü grauste, als Gao Mas Hand ihn umfaßte. Die Tür öffnete sich quietschend. Ein Schwall verbrauchter warmer Luft schlug ihnen entgegen und warf Jinjü beinahe um. Sie folgte Gao Ma in die große Halle des Busbahnhofs. Eine Frau, die offenbar eine Aufsichtsperson war, ging gähnend quer hindurch. Gao Ma zog Jinjü mit sich und vertrat der Frau den Weg. Sie war hochschwanger, und ihr Gesicht zierten sieben oder acht sojabohnengroße Muttermale.
    »Genossin«, fragte Gao Ma, »wann fährt der Bus nach Lanji?«
    Sie kratzte sich am Bauch und musterte Gao Ma und Jinjü mit schrägem Blick. »Das weiß ich nicht. Fragen Sie mal am Fahrkartenschalter.«
    Die Frau sah eigentlich hübsch aus und hatte eine besonders sanfte und anmutige Stimme. Sie zeigte ihnen mit der Hand die Richtung. »Da drüben.«
    Gao Ma nickte mehrmals mit dem Kopf und sagte mindestens dreimal »Danke«.
    Die Schlange vor dem Schalter war kurz, und sie kamen gleich dran und nannten ihr Reiseziel.
    Als Gao Ma die Karten bezahlte, mußte Jinjü, die sich an seiner Jacke festhielt, heftig niesen.
    Der Wartesaal war so groß wie zwei Morgen Land. In der Eingangstür blieb Jinjü angsterfüllt stehen. Sie hatte das Gefühl, von allen Anwesenden angestarrt zu werden. Sie senkte den Kopf und betrachtete ihre schmutzigen Kleider und verstaubten Schuhe. Sie bedauerte, so eilig aufgebrochen zu sein und keine saubere Wäsche mitgenommen zu haben.
    Gao Ma führte sie in den Wartesaal. Der Kunststeinboden war bedeckt mit ausgespuckten Schalen von Sonnenblumenkernen, Bonbonpapier, Obstschalen, Rotz und Pfützen. Im Wartesaal war es warm. Es roch nach Schweiß, Fürzen und anderen menschlichen Ausdünstungen. Am Anfang war ihr das sehr unangenehm, aber nach ein paar Minuten hatte sie sich daran gewöhnt. Jinjü hatte in diesem Gestank den Geruch von Frauen wahrgenommen, und das half ihr, ihren Widerwillen gegen diesen Ort zu überwinden.
    Gao Ma zog sie an der Hand und suchte einen Platz. In der Halle standen drei Reihen Bänke von undefinierbarer Farbe. Auf den Bänken lagen viele Menschen, einige saßen auch, eingeklemmt zwischen Schläfern. Nach einigem Suchen fanden sie auf einer Bank neben einem Aushängekasten zwei Plätze. Die Bank war naß, als hätte ein Kind darauf gepinkelt. Jinjü wollte sich nicht setzen, aber Gao Ma wischte das Wasser einfach mit der Hand weg und sagte: »Nimm Platz. Komfort gibt’s zu Hause, unterwegs trifft man auf tausend Schwierigkeiten. Wenn du sitzt, wirst du dich gleich viel wohler fühlen.«
    Gao Ma nahm als erster Platz. Jinjü runzelte die Stirn und setzte sich ebenfalls. Ihre Beine waren müde und geschwollen. Schon bald fühlte sie sich viel besser, zumal sie, zurückgelehnt auf der Bank sitzend, viel weniger auffiel. Gao Ma sagte, sie solle die Augen zumachen und ein bißchen schlafen. Der Bus fahre erst in einer halben Stunde. Folgsam schloß sie die Augen, aber sie hatte nicht das Bedürfnis zu schlafen. Sie saß auf der Bank, fühlte sich aber ins Jutefeld zurückversetzt, umgeben von dicht stehenden Jutestengeln, über sich die gezackten Juteblätter und das kalte Himmelslicht. Da sie nicht einschlafen konnte, öffnete sie die Augen wieder. Drei der vier Glasscheiben des dunkelgrün lackierten Aushängekastens waren zerbrochen. Zwei vergilbte alte Zeitungen hingen hinter den zersplitterten Scheiben. Ein Mann mittleren Alters kam herbei, streckte die Hand aus und riß eine Ecke des Papiers ab. Dabei sah er sich verstohlen um. Kurz darauf kam bitterscharfer Zigarettenrauch herangeweht, und Jinjü begriff, daß sich das Stück Zeitung in Zigarettenpapier verwandelt hatte. Sie dachte bedauernd: Ich hätte auch ein Stück abreißen sollen, um die Bank abzuwischen.
    Sie senkte den Kopf und betrachtete ihre Schuhe. Im angetrockneten Schlamm hatten sich bereits Risse gebildet. Sie kratzte den Schlamm mit den Fingern weg. Gao Ma rückte näher an sie heran und fragte leise: »Bist du hungrig?« Jinjü schüttelte den Kopf.
    »Ich geh und besorg uns was zu essen.«
    »Kauf jetzt nichts«, sagte Jinjü, »später werden wir das Geld noch dringender brauchen.«
    »Der Mensch«, erwiderte Gao Ma, »ist Eisen, Essen ist Stahl. Ein gesunder Mensch, der arbeiten kann, wird immer Geld verdienen. Halte den Platz für mich frei.«
    Jinjü schob Gao Mas kleines Bündel neben sich. In ihrem Herzen machte sich wieder ein Gefühl der Leere breit. Sie hatte die

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