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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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unschöne Sache. Bei der Kindererziehung sollten Haushaltsvorstand und Schulleitung zusammenarbeiten.«
    »Wo steckt dieses Schildkrötenei?« fragte Sechs-Räder-Wang.
    Der Direktor gab einem der Lehrer mit dem Kopf ein Zeichen.
    Der Lehrer stieß Wang Tai ins Büro.
    Sechs-Räder-Wang fragte sofort: »Schildkrötenei, hast du den Mädchen auf die Köpfe gepinkelt? Ist das der richtige Ort zum Pinkeln?«
    Wang Tai senkte den Kopf, knispelte an seinen Fingernägeln und sagte kein Wort.
    Sechs-Räder-Wang fragte weiter: »Wer hat dir so etwas beigebracht?«
    Wang Tai zeigte auf mich. Ohne zu zögern, sagte er: »Er war es.«
    Fassungslos blickte ich Wang Tai an. In meinem Kopf herrschte ein völliges Durcheinander.
    »Nicht genug, daß er selber Dummheiten macht, er bringt auch noch den Kindern der armen Kleinbauern Unfug bei«, sagte der Direktor zu meinem Vater. »Das kann kein Zufall sein.«
    »Unsere Familie ist verflucht, verflucht!«
    Vater stampfte mit den Füßen auf. »So ein Abschaum, so ein Abschaum.«
    »Von klein auf warst du schon so eine Kröte«, bemerkte Sechs-Räder-Wang zu mir. »Wann wirst du endlich an deiner Schlechtigkeit krepieren?« Dann wandte er sich an Vater. »Wie konntest du nur so ein elendes Geschöpf in die Welt setzen?«
    Vater hatte seinen zerlöcherten Strohhut auf. Er schrie zweimal laut und hob den Stock, um ihn mir auf den Schädel zu schlagen. Habe ich ebenfalls geschrien? Zwanzig Jahre sind vergangen. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihm etwas zugerufen habe, aber ich weiß, ich wollte ihm sagen: Papa, ich habe mein eigenes Pipi getrunken, ich habe doch nur mein eigenes Pipi getrunken.
    »Mein Lieber, mach dir nichts draus«, redete der Mann mittleren Alters beruhigend auf Gao Yang ein. »Die Sache ist ausgestanden, und jetzt wird alles gut. Du bist ein Kerl, der etwas aushalten kann, und wenn du das kannst, aushalten und durchhalten, dann kann dir nichts mehr etwas anhaben. Deine Zeit kommt noch. Wenn du erst wieder draußen bist, mußt du nie wieder hierher zurück.«
    Der alte Häftling hatte den urindurchtränkten Kloß und den Rest der Suppe in der Schüssel verschlungen. Ein Stück von einem gelben Knoblauchstengel klebte noch am Boden der Schüssel. Er zupfte ihn mit den Fingern ab und stopfte ihn sich in den Mund. Am Rand der Schüssel haftete ein schaumiger, öliger Belag. Er streckte seine lange Zunge heraus und leckte alles ab, schlabbernd wie ein alter Hund.
    Ein langgezogener Pfiff erklang. Auf dem Korridor verkündete eine blecherne Stimme:
    »Achtung, alle Zellen, gleich wird das Licht zum Schlafen gelöscht. Die Nachtvorschriften sind: Erstens, nicht reden oder flüstern, zweitens, nicht die Betten tauschen, drittens, nicht nackt schlafen.«
    Das gelbe Lampenlicht ging plötzlich aus. In der Zelle wurde es dunkel und still.
    Gao Yang hörte das ruhige Atmen der drei Mitgefangenen. Er sah sechs Augen geheimnisvoll leuchten. Erschöpft und schwach saß er auf der Pritsche. Die graue Decke roch nach Knoblauch. Schwärme von Moskitos flogen auf und sirrten in der Dunkelheit.
    Ein langer Tag hatte endlich seinen lichtlosen Schlußpunkt gefunden. Gao Yang legte den Kopf auf die Decke und schloß die Augen. Zwei Tränen rollten über sein Gesicht. Er stieß einen leisen, für die anderen unhörbaren Seufzer aus. Zwischen den Gitterstäben hindurch konnte er den erhobenen Riesenarm des Krans sehen. Eine hellgelbe Mondsichel hing an diesem Eisenarm. Sie sah sehr zart aus.

Achtes Kapitel
    Seit jeher kennt man streitsüchtige Affen,
    feindselige Köter und undankbare Menschen.
    Wang Tai, du hast die Hacke weggelegt
    und übst jetzt Tyrannei und Quertreiberei …
    Aus einem Lied, das Zhang Kou sang, als Wang Tai nach der
Knoblauchschwemme stellvertretender Leiter der
Absatzgenossenschaft wurde
1
    Der Polizeiwagen entschwand in der Ferne. Der Staub setzte sich. Die Asphaltstraße lag gleißend im Abendlicht. Wie ein Abziehbild klebte die Haut einer vor undenklichen Zeiten überfahrenen Kröte auf dem Pflaster. Jinjü raffte sich auf und stolperte schweißgebadet, mit zitternden Knien und leerem Kopf zum Straßenrand, wo sie sich auf einen halb verrotteten Heuhaufen fallen ließ.
    Die Straße führte durch ausgedehnte Getreidefelder mit mannshohem Mais und Sorghum nahebei und golden wogendem Weizen in der Ferne. Der durch die Knoblauchernte bloßgelegte schwarze Bauch der Erde wartete darauf, mit Bohnen oder Mais bepflanzt zu werden. Der wolkenlose Himmel und die

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