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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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hatte einen guten Knoblauchgeruch. Er schloß die Augen, Bilder seines Vaters und seiner Mutter kamen ihm in den Sinn. Vater trug einen Strohhut, durch dessen Löcher sein schütteres Haar lugte. Er stand gebeugt und atmete schwer. Mutter hatte eingebundene kleine Füße und zog im Schnee eine Karre den Berg hoch. Gao Yang drückte sein Gesicht auf den Boden. Seine heißen Lippen berührten das kalte Naß. Es schmeckte nach Knoblauch, es schmeckte nach Knoblauch. Er schlürfte einen Schluck auf. Es schmeckte nach Knoblauch, nach Knoblauch. Er schlürfte noch einen Schluck. Knoblauchgeschmack, Knoblauchgeschmack. Kräftig schlürfte er weiter und schmeckte Knoblauch, Knoblauch.
    Der Mann mittleren Alters packte ihn an der Schulter, zog ihn in die Höhe und sagte: »Das reicht, Bruder, das reicht.«
    Gao Yang ließ sich von ihm zu seiner Pritsche führen und setzte sich benommen hin. Etwa so lange, wie man braucht, um eine halbe Tabakspfeife zu rauchen, saß er regungslos da. Nur in seiner Kehle gluckerte es, aber nach einer Weile hörte auch das auf. Und nach längerem Schweigen öffnete er den Mund und stöhnte: »Vater, Mutter, euer Sohn hat heute wieder sein Pipi getrunken.«
    Der Vater trug den kaputten Strohhut auf dem Kopf, durch dessen Löcher das graue Haar ins Freie drängte. Der Vater stand gebeugt da und atmete schwer. Seine Hände umklammerten einen Stock. Er stand im Büro der Grundschule und blickte den wütenden Schuldirektor betreten an.
    »Herr Direktor, Herr Direktor, das Kind weiß es nicht besser.«
    »Weiß es nicht besser?« Der Direktor schlug kräftig auf den Tisch. »Er ist ein Ungeheuer.«
    »Ein Ungeheuer?«
    »Er hat den Mädchen auf die Köpfe gepinkelt. Hat er das von dir gelernt?«
    »Herr Direktor, ich habe viele klassische Bücher gelesen, über Wohlwollen, Gerechtigkeit, Anstand, Wissen und Vertrauen. Es heißt, Mann und Frau müssen Abstand halten.«
    »Behalt deine feudalistischen Antiquitäten für dich«, schimpfte der Direktor.
    »Ich wußte nicht, daß er so etwas Schändliches fertigbringt.«
    Vater zitterte am ganzen Körper. Er hob den großen Stock, einen entrindeten weißen Weidenholzstock, und rief: »Ich schlage ihn tot, ich schlage dich tot, du Taugenichts, du hoffnungslose Mißgeburt, ständig machst du deinem Vater Probleme. Als ob ich nicht schon genug davon hätte.«
    Vater trug seinen durchlöcherten Strohhut, durch den sein graues Haar nach draußen drängte. Er beugte sich vor und hob schwer atmend mit beiden Händen den entrindeten weißen Weidenstock. Er zielte direkt auf meinen Kopf, ich wich dem Schlag aus, und der Stock traf mich auf der Schulter.
    »Was machst du da«, sagte der Direktor streng, »was glaubst du, wo du hier bist, daß du dich so aufführst?«
    Der Direktor riß Vater den Stock aus der Hand und legte ihn beiseite. »Wir haben beschlossen, Gao Yang von der Schule zu verweisen. Bring ihn nach Hause. Wenn du ihn zu Hause totschlägst, ist das deine Sache.«
    »Herr Direktor, bitte entlassen Sie mich nicht, bitte entlassen Sie mich nicht.« Mir war schwer ums Herz.
    »Dich Ungeheuer behalten?« Der Direktor funkelte mich an. »Du gehst. Du gehst mit deinem Vater.«
    »Herr Direktor.« Vater beugte sich vor. Er zitterte am ganzen Leibe, stützte sich mit beiden Händen auf den Weidenstock und flehte mit Tränen in den Augen: »Ich bitte Sie, lassen Sie ihn die Schule zu Ende besuchen.«
    »Die Sache ist erledigt«, sagte der Direktor, »wo ist Brigadeleiter Wang?«
    Ich sah, daß Wang Tais Vater, den wir den Sechs-Räder-Wang nannten, auch gekommen war. Sechs-Räder-Wang war zwanzig Jahre lang der Leiter meiner Produktionsbrigade, zwanzig Jahre arbeitete ich als Kommunemitglied unter ihm. Er war ein großer Mensch, der mit nacktem Oberkörper und nackten Beinen herumlief, eine Riesenmasse roten Fleisches. Er trug niemals einen Gürtel. Seine große sackartige Hose aus weißem Stoff war vorne zusammengeknotet, im Hosenbund steckte eine Sichel. Ich nannte ihn Großonkel Sechs. Keiner von uns brachte es fertig, die Hose so wie er ohne Gürtel zu tragen. Beine und Rücken von Großonkel Sechs waren von großen glänzenden Narben übersät, die von Furunkeln zurückgeblieben waren.
    Mit einer Stimme wie ein Gong fragte Sechs-Räder-Wang: »Direktor, was soll ich hier?«
    Der Direktor sagte: »Brigadeleiter Wang, nehmen Sie mir nicht übel, was ich Ihnen sagen muß. Ihr Sohn Wang Tai hat seinen Mitschülerinnen auf die Köpfe gepinkelt. Das ist eine

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