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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Nasenrücken und zwei Reihen fester Zähne.
    Kind, beiß mich nicht, laß los, beiß mich nicht.
    Erneut krümmte sie sich. Ihre Füße scharrten über den Boden. Sie rückte Schritt für Schritt vor. Die Weidenzweige hingen schwer nach unten, die Blätter dicht mit Blattläusen besetzt, die an ihrem Gesicht, an ihrem Hals, ihrem Haar und ihren Schultern haftenblieben, wenn sie die Zweige streifte. Die heiße Flüssigkeit an ihren Beinen sickerte ihr in die Schuhe und vermischte sich mit dem eingedrungenen Sand zu einem klebrigen Brei, der sich wie Schlamm um ihre Füße legte. Sie arbeitete sich von Baum zu Baum vor. Ungerührt ertrugen die Weiden ihre Qual. Unzählige Blattläuse glänzten in der Abenddämmerung, so daß Blätter und Zweige wie mit grünem Öl bestrichen wirkten.
    Kind, starr mich nicht so an, nicht so, ich weiß, in meinem Bauch ist es eng, du hast nichts Feines zu essen, nichts Gutes zu trinken, du möchtest raus …
    Jinjü fiel hin. Der Fötus schrie laut auf und schlug brutal die Zähne in die Wand ihrer Gebärmutter. Der stechende Schmerz riß sie hoch, sie kroch über den Boden, und ihre Finger krallten sich wie Eisenklauen in den Sandboden.
    Kind, du beißt mich kaputt, du beißt mich kaputt, ich muß wie ein Hund auf der Erde kriechen.
    Auf Händen und Füßen schob sie sich vorwärts. Ihr Bauch streifte den Sandboden. Schweiß und Tränen tropften auf die Erde, so daß der feine Sand aufstäubte. Sie konnte ihre Schmerzenslaute nicht unterdrücken. Das grausame kleine Balg zerriß sie. Was ihr besonders angst machte, war der grausame Gesichtsausdruck dieses Jungen. Sie sah, daß er sich wie eine Raupe krümmte, um sich mehr Raum zu verschaffen, aber die Wände, die ihn einschlossen, waren so elastisch wie Gummi, und was er an einer Stelle ausweitete, engte ihn an anderer wieder ein. Das machte ihn wütend, er schlug blindlings mit Händen und Füßen um sich und biß immer wieder zu. Dabei schimpfte er: »Du Miststück, du verdammtes Miststück!«
    Kind, ach, mein Kind, bitte verschone mich, deine Mutter, ich werfe mich vor dir auf die Knie.
    Ihr Flehen rührte das Kind, seine Zähne ließen die Wand der Gebärmutter los. Fäuste und Füße machten weniger heftige Bewegungen. Der Schmerz ließ nach. Sie legte das feuchte Gesicht in den Sand und empfand tiefe Dankbarkeit für die Nachsicht ihres Sohnes.
    Die untergehende Abendsonne vergoldete die Weidenspitzen. Jinjü hob das Gesicht, das mit Erde und Sandkörnern bedeckt war. Im Dorf sah sie schon den milchweißen Rauch der Herdfeuer aufsteigen. Sie richtete sich ganz behutsam auf, um das wütende Baby nicht zu stören. Es zog sich zusammen. Sein kleines Herz klopfte, wie ein Vogel hüpft. Als sie Gao Mas Haustür erreichten, war die rote Sonne schon hinter den Weiden versunken. Auf der Dorfstraße knallten die Ochsenpeitschen hell und kurz. Die vom Salzwasser benetzten Lieder sangen den Himmel rot.
    Deine Mutter, wie lange schon tot,
    ließ dich und die Schwestern im Elend zurück.
    Ein elternloses Kind – ein zügelloses Pferd,
    mit vierzehn bist du durchgebrannt,
    in fremden Häusern schenkst du andern Freude.
    Armut ist schlimmer als Schande,
    doch glaube nicht, daß man dir Kränze flicht,
    sonst nimmst du ein schlimmes Ende.
2
    Als sie das andere Ende des Jutefeldes erreichten, war es schon später Vormittag. Der dünne Nebel hatte sich aufgelöst, Himmel und Erde waren klar. Hinter dem fahlen Streifen eines Feldweges konnte man Tausende Morgen Paprika sehen, die die Bauern des Kreises Grünes Pferd gepflanzt hatten. So weit das Auge reichte, war alles rot, ein einziges wogendes Feuermeer.
    Als Jinjü das Jutefeld verließ, kam sie sich vor, als stünde sie nackt vor einer Menschenmasse. Sie schämte sich fast zu Tode. Sie zog sich wieder ins Jutefeld zurück. Gao Ma folgte ihr und drängte: »Beeil dich. Warum verkriechst du dich hier?«
    »Lieber Gao Ma, am hellichten Tage können wir uns nicht auf den Weg machen.«
    »Wir sind im Kreis Grünes Pferd. Keine Menschenseele kennt uns hier.«
    »Ich habe Angst. Was ist, wenn wir Bekannte treffen?«
    »Unmöglich«, erwiderte Gao Ma, »und selbst wenn uns jemand sieht – wir haben nichts zu verbergen.«
    »Nichts zu verbergen? Gao Ma, was hast du mit mir gemacht?« Jinjü setzte sich und fing an zu weinen.
    »Schon gut, ehrwürdige Ahne«, sagte Gao Ma entnervt, »so sind die Frauen, vorne Angst vor dem Wolf, hinten Angst vor dem Tiger, und alle naslang überlegen sie es sich

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