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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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anders.«
    »Meine Füße schmerzen, ich kann nicht mehr laufen.«
    »Du suchst nur Vorwände.«
    »Ich bin müde.«
    Gao Ma kratzte sich am Ohr und schüttelte den Kopf. »Wir können nicht unser ganzes Leben im Jutefeld verbringen.«
    »Ich gehe auf keinen Fall bei Tageslicht.«
    »Dann eben heute nacht.« Er zog Jinjü hoch und sagte: »Wir müssen tiefer rein, hier ist es zu gefährlich.«
    »Ich …«
    »Ich weiß, du kannst nicht mehr laufen.« Er hockte sich vor ihr hin. »Ich trage dich.«
    Er gab ihr sein Bündel, streckte die Hände hinter ihren Rücken und umfaßte die Kniekehlen. Folgsam legte sie sich auf seinen breiten Rücken.
    Er atmete schwer beim Gehen, den dunklen Hals vorgestreckt. Mitleid stieg in ihr auf. Sie stieß ihn mit den Knien an und flüsterte: »Laß mich runter, Liebster, ich gehe selbst.«
    Gao Ma sagte nichts, er schob nur seine Hände etwas höher, bis sie ihre Pobacken umfaßten, die er zart drückte. Jinjü hatte wieder das Gefühl, daß sich ihre inneren Organe wie frische Blüten öffneten. Sie stöhnte und klopfte mit beiden Fäusten gegen Gao Mas Hals. Seine Füße blieben an einem Hindernis hängen, und sie fielen beide hin, ein paar Jutestengel mit sich niederreißend. Die Jute bewegte sich unruhig – zunächst nur ein paar Dutzend Pflanzen, doch später kam Wind auf, und Tausende und Abertausende bewegten sich mit ihnen. Alle Geräusche dieser Welt wurden übertönt von dem gewaltigen, aber dennoch sanften Geräusch, mit dem sich Blätter und Stengel der Jute aneinander rieben.
3
    In der Morgendämmerung des nächsten Tages betraten Gao Ma und Jinjü, ihre Kleider staubig und vom Tau durchnäßt, den Fernstrecken-Busbahnhof des Kreises Grünes Pferd. Es war ein großes Gebäude, das zumindest von außen sehr stattlich aussah. Die bunten Lampen über dem Eingang waren noch nicht gelöscht und beleuchteten die rote Schrift des Bahnhofsschildes und den hellgrünen Rauhputz der Fassade. Rechts und links der Zufahrt hatten Reiseproviantverkäufer, die auch in der Nacht auf Kundschaft warteten, ihre fahrbaren Stände aufgestellt, zwischen denen man wie durch eine Art Korridor hindurchging. Die Verkäufer, Männer wie Frauen, sahen alle übernächtigt aus und konnten die Augen kaum aufhalten. Jinjü beobachtete, wie eine knapp über zwanzigjährige Verkäuferin sich die Hand vor den Mund hielt und so lange gähnte, bis ihr die Tränen in die Augen traten. Im Licht der langen blauen Flamme ihrer Gaslampe wirkten die tränengefüllten Augen des Mädchens wie zwei halbtote Kaulquappen.
    »Süße Birnen, süße Birnen, kauft süße Birnen«, rief die Verkäuferin.
    »Weintrauben, Weintrauben, kauft Weintrauben!« lockte ein Verkäufer. Äpfel, Pfirsiche, Honigdatteln priesen die anderen an. Die Stimmen der Verkäufer klangen munter, aber ihre Ware stank schon, und der Boden war übersät mit Papier, Obstschalen und menschlichen Ausscheidungen.
    Jinjü hatte das Gefühl, hinter den freundlichen Blicken der Verkäufer eine unbestimmte Drohung wahrzunehmen. Mit den Lippen tun sie mir schön, damit ich ihre Ware kaufe, aber im Inneren beschimpfen oder verspotten sie mich. Sie wissen alle, wer ich bin, und sie wissen genau, was ich in diesen zwei Tagen getrieben habe. Die Birnenverkäuferin hat bestimmt den Staub und die zerquetschten Juteblätter auf meinem Rücken gesehen. Und dieser Mann, der mich wie ein alter Lüstling immerzu anstarrt, hält mich bestimmt für eine von diesen Frauen. Ein erdrückendes Schamgefühl überwältigte Jinjü. Ihr Körper versteifte sich so, daß sie weder Beine noch Lippen bewegen konnte. Sie ließ den Kopf hängen und hielt sich an Gao Mas Jackenzipfel fest.
    Ihre Gewissensbisse kehrten wieder, sie empfand ein Gefühl der Ausweglosigkeit und hatte Angst vor der Zukunft. Sie folgte Gao Ma die Stufen hinauf. Als sie auf dem Kunststeinboden stand, fühlte sie sich erleichtert. Die Verkäufer hatten aufgehört zu rufen, sie ließen den Kopf auf die Brust sinken und dösten vor sich hin. Vielleicht habe ich mir alles nur eingebildet, dachte sie, und sie haben gar nichts bemerkt. In diesem Augenblick trat eine ungepflegte alte Frau aus der Bahnhofstür. Ihre schwarzbraunen Augen blitzten Jinjü haßerfüllt an. Mit bebendem Herzen sah Jinjü ihr nach. Die Frau ging die Stufen hinunter, wandte sich zur Seite, suchte sich eine Mauernische, ließ die Hosen herunter und pinkelte einfach auf den Boden.
    Der Griff der Eingangstür, den schon Tausende oder

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