Die Knochen der Goetter
allesamt Männer. Jeder von ihnen trug nur einen weißen Lendenschurz, ansonsten waren sie nackt.
»Das ist eindeutig Ägypten«, stellte Rufus fest. »Und trotzdem sieht der Junge aus, als käme er nicht von hier.«
No hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Sein Blick war auf einen Arbeiter gerichtet, der nicht weit von ihm auf einem steinernen Tisch einen Toten wusch. Ein Stück weiter entfernt waren andere Arbeiter damit beschäftigt, die gewaschenen Körper mit etwas Weißem, Sandartigem zu bedecken.
»Was machen die da?«, flüsterte No.
»Sie entnehmen den Körpern die Organe«, erklärte Filine ruhig. »Und dort drüben werden die Körper dann mit Salz bedeckt, um sie zu trocknen. Salz entzieht Feuchtigkeit.«
No schluckte. »Und die Vögel und Katzen sind wirklich hier, um sich ihr … Futter zu suchen?«
Filine nickte stumm. Dann sagte sie. »Da drüben ist der Junge!«
»Und wir sollten ihn diesmal nicht aus den Augen verlieren«, zischte Rufus.
No folgte ihren Blicken.
Der Junge verfolgte die graue Katze quer über den Hof. Dabei kam er an einem Raum in der hintersten Ecke vorbei, der als Einziger rundum gemauert zu sein schien, ein richtiges Dach hatte und eine niedrige Tür besaß, die vom Hof ins dunkle Innere führte.
Im nächsten Moment hatte der Junge die Katze erreicht, hob seinen Bambusstock und schlug nach ihr. Doch die Katze war wieder schneller. Sie entwischte mit ihrer Beute und verschwand durch die Tür vor ihm.
Der Junge erstarrte.
Mit erhobenem Stock stand er vor dem Eingang und wusste offensichtlich nicht, was er tun sollte.
In diesem Moment trat ein hochgewachsener Mann aus der Tür. Er trug ein weißes, sehr sauberes Gewand und eine Robe aus Leopardenfell um die Schultern. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Maske, die wie der Schädel eines Schakals geformt war. Wütend ging er auf den Jungen zu und herrschte ihn an. Unter der Maske klang seine Stimme dumpf.
Der Junge zuckte zusammen.
Der maskierte Mann hob einen Arm und rief etwas. Hinter ihm erschien ein Arbeiter, der die Katze gepackt hielt. In der anderen Hand hatte er ihre Beute. Wieder rief der Mann mit der Maske etwas.
Sofort ließ der Junge seinen Stock fallen, griff sich die Katze, trug sie zur Mauer und warf sie nach draußen. Der Mann mit der Maske sah dem Jungen ungeduldig zu. Dann winkte er ihn wieder zu sich. Der Junge eilte mit gesenktem Kopf zurück zu seinem Stock und wollte ihn gerade aufheben, als der Mann ihn zurückhielt.
»Wenn wir nur verstehen könnten, was der Typ ihm sagt«, flüsterte No.
»Du musst nicht mehr flüstern«, sagte Filine, die der Anblick der Toten ringsumher scheinbar völlig kaltließ. »Ich bin sicher, der Priester und der Junge hören uns nicht. Der Priester hat den Jungen eben wegen seiner Nachlässigkeit gescholten und ihm befohlen, die Katze über die Mauer zu werfen. Und der Junge heißt Nauri.«
»Du verstehst die Sprache?« Rufus sah Filine überrascht an. »Woher kannst du denn Ägyptisch?«
»Ja, genau!«, fiel No ein. »Das ist doch bestimmt uralt. Und wieso weißt du, dass der Typ mit der Maske ein Priester ist?«
Aber Filine schüttelte nur den Kopf. »Das ist die Maske des Anubis, die trugen nur Priester. Aber lasst uns näher rangehen! Ich will wissen, was er ihm noch sagt.«
»Irre«, murmelte No. »Das ist vollkommen irre! Sie kann echt Ägyptisch …«
Erstaunt folgten ihr Rufus und No. Der Priester wirkte inzwischen nicht mehr so wütend und sprach leiser. Dennoch merkte man seiner Stimme an, dass sie befehlsgewohnt war.
Plötzlich hob der Mann den Bambusstock des Jungen auf.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte No.
Filine bedeutete ihm zu schweigen. Dann übersetzte sie: »Nauri, hör mir zu, oder trägst du das Ohr auf dem Rücken?«
»Hä?« No sah Filine verdutzt an. »Das versteh ich nicht mal auf Deutsch.«
»Das ist ein Sprichwort«, erklärte Filine. »Man sagte, ein Kind trägt das Ohr auf dem Rücken, wenn es nur durch Schläge auf den Rücken dazu zu bewegen ist, einem Erwachsenen zuzuhören.«
No verzog angewidert das Gesicht. »Na, großartig. Altägyptische Priester-Pädagogik, ja?!«
»Seid ruhig«, zischte Filine. Dann übersetzte sie weiter.
»Ich werde dich nicht schlagen, aber hör auf zu zittern und höre zu!«
Nauri zitterte wirklich am ganzen Leib. Aber jetzt hob er den Kopf. Der Mann ließ den Stock sinken.
»Die Maske«, sagte Nauri leise. »Ich habe Angst. Draußen tragen Sie nie die Maske, Mahu!«
Der Priester seufzte. Dann
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